Der menschliche Drang zur Selbstoptimierung hat zum Jahreswechsel Hochkonjunktur. Neuanfänge stehen dabei weit oben im Kurs. Ein echter Profi in Sachen Neustart ist Pfarrer Dominik Rittweg. Denn er schmeißt alte Traditionen über Bord, wenn sie keinen Sinn mehr machen. Besonders, wenn es um seine Arbeit mit Jugendlichen geht. Mit dem Pfarrer, der für die Gemeinde Marlesreuth arbeitet und sich für das Dekanat Naila mit viel Herzblut um junge Menschen kümmert, hat StadtLandHof-Bloggerin, Jennifer Müller, über den Jahreswechsel gesprochen und erfahren, warum wir uns alle ein bisschen lockerer machen sollten.
(Kennengelernt hat sie ihn übrigens bei hier.geblieben., dem Podcast über das Hofer Land. Ein wirklich hörenswertes Interview!)
Wenn Dominik Rittweg nachts in seinem großen Büro sitzt, kann er durch das große Dachfenster auf den beleuchteten Nailaer Kirchturm blicken. Als wir uns hier im November zum Interview treffen, versuche ich mir vorzustellen, wie es sich für den 33-Jährigen in solchen Momenten wohl anfühlt, Pfarrer zu sein. Nur schwer kann ich diese Verantwortung nachempfinden. Schließlich wirkt Dominik Rittweg auf mich eher wie der Kumpeltyp, den man abends in der Kneipe trifft und hat mit dem staubigen Bild eines Geistlichen, das man sonst so kennt, eigentlich gar nichts gemein.
Wir beide sind im gleichen Alter, haben beide Kinder, sind beide im Hofer Land aufgewachsen und dürften beide eine ähnliche Jugend verbracht haben. Und noch etwas haben wir gemeinsam: Wir nutzen beide liebend gerne Kraftausdrücke, um Gesagtem – nun ja – eben Kraft zu verleihen. Nur zuckt vermutlich keiner zusammen, wenn ich das tue. Der junge Pfarrer macht da sicher andere Erfahrungen. Deshalb möchte ich gleich zu Beginn wissen, ob alle Menschen, denen er begegnet, mit seiner authentischen Art umgehen können. Schließlich ist er der erste Pfarrer, den ich je „scheiße“ oder „geil“ sagen hören habe.
„Du bist ja nur Pfarrer, weil du denkst, dass Gott will, das du Pfarrer bist.“
„Die Meisten können schon damit umgehen“, antwortet er mir. „Grad bei den Jüngeren ist das okay. Bei den Älteren ist das natürlich anders. Als Pfarrer musst du ja immer schauen, was den Menschen dient. Und wenn ihnen dient, dass ich ein bisschen einen Stock im Arsch habe, ein bisschen würdiger bin, dann geht das schon mal kurz mit dem ‚Herr Pfarrer‘ „, grinst er. Gerade die kirchenfernen Leute, was der Großteil sei, schätze seine Art allerdings. „Manche denken vielleicht: Was labert der da? Aber das mag ich. Diesen Effekt, wenn ich mich nicht verstellen muss.“ In seinem Amt fühlt er sich jedenfalls spürbar wohl. „Du wirst ja nur Pfarrer, weil du denkst, dass Gott will, dass du Pfarrer bist.“
Junge Kirche im Frankenwald
Dominik Rittweg übt seinen Job mittlerweile seit zwei Jahren aus. Er tut das, was ein Pfarrer eben tut. Tauft, traut, beerdigt, sorgt für die Seelen der Gemeinden. Vor allem aber – und das wundert wohl niemanden – kümmert er sich mit großer Leidenschaft um die Jugendarbeit. „Junge Kirche im Frankenwald“ ist der Überbegriff für das neue Konzept, das ihm besonders am Herzen zu liegen scheint und das er mit seinen Kollegen aus Lichtenberg und Naila umsetzt. Dabei wirkt es auf mich, als habe er die allergrößte Freude an der Arbeit mit besonders schweren Fällen. Mit denen, die bereits in jungen Jahren harte Schicksalsschläge wegstecken mussten. Mit Zweiflern, die von sich selbst sagen, Atheisten zu sein.
Einige davon kennt er aus dem Kinder- und Jugenddorf Martinsberg, wo auch seine Frau arbeitet. Die jungen Männer hat er gebeten, ihm dabei zu helfen, einen alten VW-Bus umzubauen. Dieser soll in Zukunft dafür genutzt werden, gemeinsam durch die Welt zu touren, Predigten zu halten, Bandauftritte oder Poetry Slams zu veranstalten. „Manche von ihnen sind richtig hart drauf, gell. Die schmeißen sich alles ein, sind voll tätowiert und alles“, schmunzelt er. „Aber die stellen eben auch die richtigen Fragen. Die versuchen nicht, mir zu gefallen. Und ich bin gerne bereit, das alles mit ihnen durchzukauen. Zu ringen und um sie zu kämpfen.“ Am Ende ginge es ihm dabei vor allem darum, für sie einen Draht zu Jesus, als Ansprechpartner, herzustellen. „Ich bin ja nicht immer da, um sie zu retten“, sagt Rittweg.
Mobilität, Musik, Messiah Movement
Ich vermute, dass ihm diese Arbeit unter anderem wegen seiner eigenen Jugendzeit liegt, in der er selbst „viel Mist gebaut“ habe. Dorffeste, Saufen, Kleinkriminalität, um sich von der gefühlten Sinnlosigkeit abzulenken. Klar, dass er da als Gesprächspartner ein viel aufrichtigeres Verständnis für Teenager hat, als manch Anderer. Und ein kleiner Rebell scheint auch heute noch in ihm zu schlummern. Laute Musik hat einen wichtigen Stellenwert in seinem Leben. Erzählt er von der jungen Kirche im Frankenwald, beschreibt er sie vor allem als Bewegung. „Messiah Movement“ heißt deshalb auch das VW-Busprojekt, das Kirche mobil macht. „Wir brauchen keine scheiß Strukturen“, winkt er dann ab. Dass er all diese Projekte umsetzen könne, habe er vor allem seinem Chef, Andreas Maar, zu verdanken, der ihm von Anfang an sein Vertrauen schenkte.
„Der Konfi-Mittwoch soll der schönste Abend der Woche für die Jugendlichen werden.“
Auch am neuen Konzept des Konfirmationsunterrichts merkt man, dass Rittweg verstaubte Tradtitionen über Bord wirft, wenn sie keinen Sinn mehr ergeben. Zum Gottesdienst am Sonntagmorgen müssen die Konfirmanden nicht mehr so oft kommen. „Das langweilt die sowieso“, gibt er zu. Dafür gäbe es jetzt ein fettes Alternativprogramm. „Mit Band und dosiertem Input. Der Konfi-Mittwoch soll der schönste Abend der Woche für die Jugendlichen werden“, schwärmt er über das neue Konzept. Und so fände er das Wort „Unterricht“ auch nicht mehr angebracht. Die neue Bezeichnung lautet deshalb „Konfi Overflow“.
Als Fan der systemischen Seelsorge möchte Rittweg nicht belehren. Stattdessen sei es ihm wichtig, gute Fragen zu stellen, kompetenzorientiert zu arbeiten. Sein unerschütterlicher Glaube an die Fähigkeiten jedes Einzelnen ist für mich beim Zuhören fast mit den Händen greifbar.
Doch, so bemüht wie Rittweg um die Herzen seiner Mitmenschen scheint, so sehr wünscht er sich, dass diese ihre Kompetenzen bei Glaubensfragen auch wirklich nutzen. „Manche Menschen kommen mit einer so hohen Erwartung. Die nehmen die Kirche als Dienstleister wahr. So in der Art: Pfarrer, mach‘ jetzt, dass ich glaube. Nur das war nie der Sinn von Kirche.“, erklärt er.
Corona als Ausstieg aus dem Hamsterrad
Corona habe da als eine Art Katalysator gewirkt, der alles beschleunigt habe, was er sehr gut fand. „Natürlich finde ich nicht gut, dass hier gerade eine Krankheit wütet und Menschen gestorben sind“, erläutert er. „Aber Corona war auch ein Cut, der viele aus ihrem Rennen und ihrer Hast herausgebracht hat. Wir sind ja so eine Optimierungsgesellschaft, die immer mehr und immer besser sein will. Wir kennen gar keine Stille mehr und verlieren uns, weil wir alles gleichzeitig wollen. Deshalb war das für die Leute auch so schlimm, als sie jetzt mal zu Hause sitzen mussten und keine Projekte mehr hatten, über die sie sich definieren konnten. Wir hatten erst mal nur noch uns und das fand ich so geil“, lacht er. Sich selbst schließe er dabei ein.
„Wenn alte Systeme zusammenbrechen, kann daraus auch immer etwas Neues entstehen.“
In der Folge seien einige Menschen allerdings wieder selbständiger geworden, was er sehr schätze. Denn diese Selbständigkeit führe dazu, dass man sich wieder Fragen stelle und durch eigenes Ausprobieren feststelle, was relevant für das eigene Leben sei. Diese Eigenverantwortung finde er selbst dann gut, wenn sie zum Austritt aus der Kirche führe. „Mir ist tausend mal lieber, wenn jemand mal mit vollem Karacho aus der Kirche austritt und sagt, das bringt mir nichts, als wenn er jahrelang völlig unbeteiligt rumschlummert.“ Daraus könne für die Zukunft vielleicht wieder ein echter Zugang entstehen. „Wenn alte Systeme zusammenbrechen, kann daraus auch immer etwas Neues wachsen.“
Die wichtigen Fragen klären
Möglicherweise liegt ihm die Arbeit mit kritischen Jugendlichen genau deshalb so sehr. Weil aus dieser Ausgangsposition heraus aufrichtiger Glaube entstehen kann. Rittweg jedenfalls zeigt den ihm Anvertrauten, dass sie bedingungslos geliebt werden. Wenn einer fragt, wieso er an einen Gott glauben sollte, der so viel Leid auf der Welt zulässt, erklärt er zunächst: „Du musst wissen, dass dich Gott liebt – noch bevor du an ihn glaubst.“ Dann stellt er klar, dass es okay ist, nicht zu glauben. „Natürlich kannst du sagen, ich scheiß‘ da drauf. Diese Freiheit hast du.“ Und das sei auch der Grund dafür, dass Gott das Böse auf der Welt zuließe: „Denn diese Freiheit bedeutet eben auch, dass du zehn Bier trinken kannst, um dich ins Auto zu setzen und ein Kind zu überfahren. Wenn wir diese Freiheit nicht hätten, hätten wir keinen liebenden, gnädigen Gott, sondern einen strafenden Puppenspieler-Gott.“ Selbst ihn hätte er dann schon mehrmals von der Erde fegen müssen, gibt Dominik zu.
Sündigt tapfer!
Stattdessen aber habe jeder, jeden Tag die Chance für einen Neuanfang. „Das ist mit Gott immer möglich“, versichert der Pfarrer. „Und das ist auch so geil an der Bibel. Da wirst du keinen Glaubenshelden finden, der von Anfang bis Ende glaubt. Die krassesten Typen in der Bibel sind die größten Versager. Also, von vorne bis hinten“, lacht er. „Selbst der krasseste Jünger von Jesus, Petrus, brauchte einen Neuanfang. Doch viele trauen sich so einen Neuanfang nicht, weil sie sich schämen. Die denken: Jetzt habe ich 30 Jahre lang drauf geschissen, ich kann doch jetzt nicht einfach. Und da sagt die Kirche: Natürlich kannst du! Gott ist weniger wichtig, was war, sondern viel mehr, was mal sein kann. Das gibt eine großartige Fehlerkultur!“, lächelt Rittweg und zitiert Luther: „Sündigt tapfer“, sagte der. „Also, überlegt nicht den ganzen Tag, wie ihr es perfekt machen könnt, sondern geht voran, lasst Euch nicht von Ängsten lähmen, stellt die Welt auf den Kopf und seid Euch sicher, Euch sei vergeben.“
Dominik Rittweg schafft es mit seinen Worten, den gesellschaftlichen Druck zu verringern, der auf unser aller Schultern lastet. Mit seiner Art zeichnet er ein dankbares Bild Gottes, als Vater, den man jedem Teenager wünschen würde. Ein paar der VW-Bus-Schrauber jedenfalls möchten ihren Neuanfang angehen. Sogar das Wort Taufe sei schon gefallen. „Zuerst wollen sie aber ein ‚Messiah Movement‘ Gang-Tattoo“, freut sich der Geistliche. Wieviel Coolness dieser Pfarrer ins Hofer Land bringt, lässt mich einfach nur staunen. Und das sei es auch, was er den Menschen raten würde, wenn er müsste: „Nehmt Euch Ruhe und lernt wieder zu staunen.“ Statt jeden Tag unzufrieden mit uns zu sein, sei das eine Grundhaltung des Glaubens, die wir auch während Corona neu lernen könnten. „Staunen über das Geschenk, dass wir leben und darüber, wie gut wir es trotz allem haben.“
2 Kommentare
Lieber Dominik!
Ich bewundere deine Offenheit und dein Gottvertrauen und wünsche Dir, dass Du gerade die Jugendlichen oder auch junge Erwachsene, die alles nur negativ sehen, von deinem Glauben überzeugen kannst. Weiterhin viel Erfolg und vielen Dank für Dein Wirken!
Nochber! Du bist einfach spitze!