Die kleine Stadt Lichtenberg im Frankenwald hütet einen besonderen Schatz – das architektonische und vor allem künstlerische Vermächtnis von Henri Marteau (1874-1934), einem der berühmtesten Geiger seiner Zeit. Besuch in einem Haus, in dem vieles zu spüren und erleben ist: die Großbürgerlichkeit vergangener Tage, stimmungsvolles Ambiente, Weltoffenheit und vor allem Musik, Musik, Musik. Die beliebten Konzerte der Internationalen Musikbegegnungsstätte werden bald in einem ganz besonderen Saal stattfinden können.
Die Internationale Musikbegegnungsstätte Haus Marteau in Lichtenberg
Hätte Henri Marteau im Jahre 1910 eine Einladung des Dortmunder Musikdirektors Georg Hüttner nicht angenommen, wäre es wahrscheinlich nie zum Bau von Haus Marteau gekommen. Hüttner, der aus Schwarzenbach am Wald stammte, hatte den weltberühmten Geiger in sein Ferienhaus nach Lichtenberg eingeladen. Marteau, als gefeierter Violinist auf allen Bühnen der Welt zu Hause, kannte die Gegend nicht. „Er hat sich für die Mittelgebirgslandschaft sofort begeistert und beschlossen, sich hier einen Sommersitz zu schaffen“, erzählt Dr. Ulrich Wirz, Verwaltungsleiter von Haus Marteau.
An Geld mangelte es nicht. Marteau erstand ein 16.500 Quadratmeter großes Gelände, auf dem der renommierte Schweizer Architekt Hans Schwab zwischen 1911 und 1913 die Villa im sogenannten Heimatstil baute. Seit 1982 wird Haus Marteau vom Bezirk Oberfranken als Internationale Musikbegegnungsstätte genutzt. Umgeben wird das beeindruckende Gebäude von einem parkähnlichen Gelände, das öffentlich zugänglich ist und das, erzählt Wirz, sogar auch einmal einen Tennisplatz beherbergte.
Haus Marteau zieht Künstler in seinen Bann
Als der Bezirk Oberfranken im Jahr 1980, drei Jahre nach dem Tod von Marteaus Witwe Blanche, von deren Erben Haus Marteau erwarb, übernahm er nicht nur ein großzügiges Anwesen, sondern im Innern des Hauses viel original erhaltenes Interieur. Die Villa nimmt einen sofort gefangen mit ihren tapetenbespannten Wänden, großformatigen Gemälden und den hellen, nahezu herrschaftlichen Räumen mit den hohen Decken.
Diese Räume sind es, die für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Meisterkurse die ganz besondere Atmosphäre während ihres Aufenthaltes ausmachen. „Das bekommen wir sowohl von den jungen Musikerinnen und Musikern als auch von den Dozentinnen und Dozenten gespiegelt“, erzählt Wirz. Letztere sind nicht irgendwer, sondern international bekannte Meisterinnen und Meister ihres Faches.
40 Kurse, 5 Tage, 1 Abschlusskonzert
Rund 40 solcher Kurse, die in der Regel fünf Tage dauern und mit einem öffentlichen Abschlusskonzert enden, finden seit 1982 in Haus Marteau jährlich statt. Nicht nur junge Violinisten aus aller Welt finden den Weg nach Lichtenberg, sondern auch Virtuosen anderer Streichinstrumente und sowie weiterer Instrumente wie Piano, Flöte, Oboe, Klarinette, Fagott oder Trompete. Aber auch Meisterkurse für Gesang und sogar Percussion lassen Haus Marteau vibrieren.
„Unser Konzept: Wunderschöne, familiäre Atmosphäre, hervorragende Dozentinnen und Dozenten und die Abgeschiedenheit eines ländlichen Idylls“ – Dr. Ulrich Wirz
Kurse und Konzerte: Ein Zuhause für die Musik
Stören tut das niemanden. Im Gegenteil: Die idyllische Abgeschiedenheit gibt Schülern wie Dozenten die Ruhe, die sie für ihre Arbeit brauchen. Das ist auch dem Umstand geschuldet, dass zu Zeiten der DDR Haus Marteau nur ein paar Hundert Meter von der Grenze entfernt lag, nach der Wende die Straße nicht ausgebaut wurde und der Schwerlastverkehr über das thüringische Blankenstein geleitet wird.
Für die familiäre Atmosphäre sorgt mit viel Engagement und Fürsorge das Ehepaar Sabine und Andreas Förster. Sie sorgen für einen reibungslosen organisatorischen Ablauf während der Kurse in Haus Marteau und halten das gesamte Haus hervorragend in Schuss. Kursteilnehmer und Dozenten können sich voll auf ihre künstlerische Arbeit konzentrieren.
Akademie mit langer Tradition
Henri Marteau hätte an all dem mit Sicherheit seine Freude. Denn spätestens nach dem 1. Weltkrieg, weiß Wirz zu berichten, veranstaltete Marteau regelmäßig in Lichtenberg seine sogenannten Sommerakademien für die begabtesten seiner Geigenschüler. Und er wirkt immer noch allgegenwärtig und ist es auch. Ein Gemälde des Münchner Portraitmalers Oskar Michaelis hängt in der ehemaligen Bibliothek, in der heute die Meisterkurse stattfinden. Es zeigt Henri Marteau im Jahr 1930, vier Jahre vor seinem Tod.
„Unser Konzept steht also bewusst im Geiste von Henri Marteau“, erläutert Ulrich Wirz und nennt noch einen wichtigen Baustein aus den Zeiten der Sommerakademien: die Unterbringung bei Gasteltern. „Zu Zeiten Marteaus gehörte das dazu. Heute nutzen die Teilnehmer Ferienwohnungen oder günstige Privatquartiere“, sagt er. Die Abschlusskonzerte, damals kostenlos, fanden zu Marteaus Zeiten in der Lichtenberger Turnhalle statt und waren das Dankeschön an die Lichtenberger für die Beherbergung der Schüler.
Konzertsaal bietet neues Klangerlebnis im Haus Marteau
Seit 1982 finden die Konzerte in den historischen Räumlichkeiten im Erdgeschoss von Haus Marteau statt. Noch – denn seit Herbst 2017 entsteht etwas Neues neben der Villa. Das Herzstück befindet sich derzeit auf der Zielgeraden: der neu angebaute, nahezu komplett unterirdische Konzertsaal, der bis zu 100 Menschen fassen wird. „Er ist Teil der Erweiterung und des Umbaus des früheren Kellergeschosses“, sagt Wirz. Für das, was nun entstanden sei, passe die Bezeichnung Kellergeschoss auch gar nicht mehr. „Daher sprechen wir jetzt vom Gartengeschoss.“
Das zentrale Element des neuen Konzertsaales sind 32 Granitspitzen, die zwischen 0,2 und 7 Tonnen schwer und bis zu 13 Meter lang sind. Sie geben dem neu geschaffenen Raum ein futuristisches Aussehen und sollen für eine ganz besonders gute Akustik sorgen. Eine Reportage über den komplizierten und diffizilen Einbau der Elemente war dem Bayerischen Fernsehen Anfang September einen 15-minütigen, sehr sehenswerten Beitrag im Rahmen der Sendereihe „Zwischen Spessart und Karwendel“ wert. Er zeigt, welch außergewöhnliches Bauwerk dort entsteht.
Beeindruckende Architektur von Prof. Peter Haimerl
Konzipiert hat den Saal, wie auch das gesamte neue Gartengeschoss, der Münchner Architekt Peter Haimerl. Um das ehemalige Kellergeschoss für eine Erweiterung des Kursbetriebes nutzbar zu machen, musste eine zusätzliche Raumhöhe von 60 cm geschaffen werden. Das erforderte Arbeiten, die Kurse von September 2017 bis März 2020 in Haus Marteau nicht möglich machten. „Wir sind sehr dankbar, dass wir in dieser Zeit nach Bad Steben ausweichen konnten“, sagt Wirz. Allerdings war es auch dann nicht möglich, den Kursbetrieb wieder aufzunehmen. „Auch uns hat Corona einen Strich durch die Rechnung gemacht“, so Wirz. Ausfallen musste damit leider auch der internationale Violinwettbewerb, der alle drei Jahre im April/Mai stattfindet.
Besondere Konzerte in einzigartigem Rahmen
Doch seit Ende August 2020 klingt und singt es wieder in Haus Marteau – jetzt mit drei zusätzlichen Übungsräumen zu den bestehenden sechs, Extra-Zugang für Konzertbesucher zum neuen Gartengeschoss mit Foyer und unterirdischem Zugang zum Konzertsaal.
Allerdings werden sich die Konzertbesucher noch gedulden müssen, bis sie in den Genuss eines Konzertes im neuen Saal kommen. „Es wird wohl noch bis Sommer 2021 dauern“, sagt Ulrich Wirz. Ende des Jahres 2020 sollen die Baufirmen draußen sein. Danach steht im Frühjahr 2021 noch die Dachbegrünung des neuen Konzertsaales an.
Kurse mit Abschlusskonzerten wird es aber auch in der Zwischenzeit geben, sofern Corona nicht einen Strich durch die Rechnung macht. Finden Konzerte statt, kümmern sich Sabine und Andreas Förster darum, für die Konzerte Plakate zu gestalten und sie unter die Leute zu bringen – sprich in Geschäfte und zur Tourist-Info. Sie schreiben auch den Programmablauf, bestuhlen den Konzertraum und betreuen die Gäste. Damit steht einem entspannten Konzertbesuch nichts mehr im Wege.
Eine Übersicht der Kurse und der Konzerte finden sich auf der Internetseite von Haus Marteau.
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