Dass er mit viel Fleiß und Motivation die deutsche Sprache übt, hört man Iram sofort an, denn der 42-jährige gebürtige Mexikaner hat einen auffallend großen Wortschatz. Der spanische Akzent macht seine Erscheinung sympathisch. Ein Wort allerdings geht ihm vollkommen akzentfrei über die Lippen: Wärschtlamo.
Den fröhlichen Mann mit den langen, pechschwarzen Haaren treffe ich im Biersalon Trompeter. Für viele Hofer eine absolute Kultkneipe, für Iram ein zweites Wohnzimmer. Der zugezogene Bierbrauer wohnt direkt über den Räumen der Wirtsstube, die seinen beiden Chefinnen, Gisi und Moni Meinel, gehört. Dass Privat- und Arbeitsleben durch seine Wohnsituation so eng miteinander verknüpft sind stört ihn dabei keineswegs – im Gegenteil. So könne er sich so ganz leicht in Gesellschaft begeben, um unsere Kultur besser kennenzulernen, erklärt er mir. Davon abgesehen seien die beiden Wirtinnen ihm immer eine große Hilfe auf seinem steinigen Weg zum Bierbrauer gewesen.
Bierbrauen in Mexico: Aus Berufung wird Beruf
Iram wächst in Morelia auf. „Eine sehr kulturelle Stadt“, lässt mich der 42-Jährige wissen. „Dort kann man jeden Tag etwas anderes unternehmen, dafür ist Morelia auch bekannt“, sagt der Dritte von vier Geschwistern. 11 Jahre lang arbeitet Iram dort als Bauingenieur. Doch zufrieden macht ihn das auf die Dauer nicht. Ganz im Gegensatz zu seinem größten Hobby: „2007 habe ich damit angefangen, zu Hause Bier zu brauen. Das kam durch einen Vortrag über Ernährung, den ich gehört habe. Ich fand das interessant und ich fand Bier auch schon immer interessant. Eine Ausbildung zum Bierbrauer gab es damals in Mexico aber leider nicht.“
Um sich das nötige Know-How trotzdem anzueignen, meldet sich der Mexikaner deshalb zu einem viertägigen Kurs an. „Zu Hause habe ich dann meine ersten Biere gebraut. So 20 Liter für mich selbst. Das haben dann meine Kumpels probiert und fanden es gut. Also fragten sie mich, ob ich welches für ihren Geburtstag brauen könnte. Das haben dann wiederum Freunde von ihnen probiert und wollten welches haben und so ging das dann immer weiter“, lacht er. So kommt es, dass sein Hobby schnell zum Beruf wird. Iram gründet eine eigene kleine Brauerei.
Ein Praktikum bei der Meinel Bräu
„Irgendwann stand aber meine ganze Wohnung voller Equipment. In der Küche, im Wohnzimmer, im Schlafzimmer – überall stand die Sachen zum Bierbrauen herum“, schüttelt Iram den Kopf und grinst. „Deshalb dachte ich mir dann: So geht es nicht weiter. Entweder ich mache das richtig, oder ich höre auf. Und weil Aufhören für mich keine Alternative war, erkundigte ich mich, wo ich das professionell lernen kann.“ Zur Auswahl stehen die USA, Englang, Belgien oder Deutschland. „Die großen Länder, die für Bier bekannt sind“, sagt er.
Eine Bekannte von ihm ist gut mit den Meinel-Schwestern befreundet und stellt für ihn den Kontakt nach Deutschland her. „Ich habe dann einfach eine E-Mail geschrieben: Hey, ich bin Iram, ich habe hier in Mexico eine kleine Brauerei gegründet und ich wollte fragen, ob ich bei Euch ein Praktikum machen kann. Die Antwort kam sofort: Ja klar, das geht. Komm‘ einfach vorbei.“ Also macht sich Iram auf den weiten Weg nach Deutschland. Knapp 10.000 Kilometer trennen ihn ab da von seiner Heimat. Doch das ist bis hierhin nichts Neues für den leidenschaftlichen Backpacker. Schon früher ist er mit dem Rucksack durch unbekannte Länder getourt, um neue Kulturen kennenzulernen.
Aus Liebe zum Bier
„Zwei Monate hat das Praktikum gedauert und ich fand es wirklich super“, schwärmt Iram. „Leider darf man als Ausländer hier nur drei Monate bleiben, also habe ich Gisi und Moni gesagt, dass ich das gerne weiter machen würde und gefragt, wie.“ Die beiden hilfsbereiten Frauen suchen mit ihm nach Lösungen. Doch diese Suche gestaltet sich nicht einfach. Seine Herkunft und sein erlernter Ingenieursberuf stehen ihm immer wieder im Weg. Die Bürokratie, die schon so manchen Deutschen zermürbt, verlangt auch ihm unendlich viel Energie ab. Doch die Meinel-Schwestern erkennen seine Leidenschaft, greifen ihm unter die Arme und bieten ihm letztendlich einen Ausbildungsplatz an.
Zwar baut auch dieses Angebot nicht alle Hürden ab, doch am Ende darf Iram auf diesem Weg endlich die Kunst des Bierbrauens erlernen. „Von 2015 bis 2016 habe ich dann zwei Deutschkurse besucht. Außerdem habe ich noch freiwillig einen Integrationskurs abgeschlossen. Und ich musste 2016 noch eine Art Meistervorbereitung machen, damit ich die Ausbildung überhaupt anfangen durfte. Aber so hat es geklappt und ich konnte 2017 anfangen“, lächelt er und man kann seine Erleichterung förmlich greifen. Die Ausbildung, die regulär 3 Jahre beansprucht, schafft er dann sogar in einer verkürzten Zeit von 2,5 Jahren. 2019 wird er bei der Meinel-Bräu eingestellt. „Ich liebe das, was ich tue“, berichtet Iram stolz. Den Titel des Braumeisters habe er deshalb zum nächsten Ziel erklärt.
„Vor allem die Grammatik ist wirklich hart“
Zuversichtlich, zielstrebig und motiviert – all diese Attribute kann man jemandem, der seine kompletten Gewohnheiten aufgibt, um in einem völlig fremden Land seiner Leidenschaft nachzugehen, wohl zuschreiben. Schließlich hat Iram seine Familie und Freunde nun seit fast 5 Jahren nicht mehr gesehen. Hinzu kommt das Wetter im Hofer Land, das im Vergleich zum mexikanischen Klima getrost als frostig bezeichnet werden kann. Und auch das Essen hier hat so gar nichts mit der mexikanischen Kochkunst gemein. Dabei ist Iram nicht wählerisch. „Ich esse eigentlich alles – ob tot oder lebendig“, scherzt er, „aber das Scharfe fehlt mir hier schon sehr.“ Dass er aus diesem Grund immer ein wenig Chilli beim Restaurantbesuch dabei habe, erklärt er schulterzuckend und schiebt schnell ein aufrichtiges „Sorry“ hinterher.
Doch, wer glaubt, die Sehnsucht nach den Liebsten, das neuartige Essen oder das kalte Wetter seien für den Mexikaner die größten Herausforderungen gewesen, vergisst, wie anspruchsvoll die für uns so selbstverständliche deutsche Sprache ist. „Die Grammatik ist wirklich hart“, sagt Iram und man merkt ihm seinen dringenden Wunsch, unsere Sprache besser zu beherrschen, sofort an. Ja, man hat sogar den Eindruck, es fuchst den ehrgeizigen Mexikaner richtig, dass er hier vor einer Aufgabe steht, die einfach Zeit braucht, egal, wie sehr er sich bemüht. „Manchmal denke ich, das kann nicht wahr sein, ich bin seit fast 5 Jahren hier und muss immernoch üben und andere sind zwei, drei Jahre in Mexico und können dann perfektes Spanisch“, sagt er kopfschüttelnd. Freundschaften zu knüpfen wäre für ihn ohne die lästige Sprachbarriere eben einfacher. „Man kann sich einfach ganz anders unterhalten“, sagt er. „Und ich glaube, die Leute sprechen auch einfach lieber mit jemandem, den sie gut verstehen. Ich habe hier wirklich gute Menschen und gute Freunde hier gefunden, aber richtig enge Freundschaften entstehen eben nur, wenn man sich richtig austauschen kann.“
Ein echter mexikanischer Hofer
Doch Iram bleibt am Ball und nimmt alle Angebote wahr, bei denen er mit seinen Mitmenschen ins Gespräch kommen kann. „Ich wollte von Anfang an nicht daheim bleiben. Das finde ich auch wichtig und richtig. Man sollte auf keinen Fall daheim bleiben“, erklärt er mit Nachdruck. Das falle ihm leicht, weil er finde, dass sich das kulturelle Angebot im Hofer Land sehen lassen kann. „Man muss sich einfach nur durchfragen, dann erfährt man jedes Wochenende von einer guten Veranstaltung, die man besuchen kann.“
Abschrecken lässt er sich dabei letztlich von gar nichts. Während seines Deutschkurses beispielsweise läuft plötzlich der Umzug des Schlappentages an ihm vorbei. „Ich habe meinen Nebenmann gefragt, was die da machen. Er hat es mir erklärt und ich sagte: Was? Jetzt um 11 Uhr? Ist ja Wahnsinn! Am Nachmittag habe ich dann sofort meine Sachen gepackt. Ich musste da hin!“ Und selbst, als ihm bereits auf seinem Weg zwei ältere Herrschaften bedenklich stolpernd entgegen kommen, lässt er sich nicht beirren. „Ich dachte zwar, oh Gott, wohin gehe ich gerade? Aber ich bin trotzdem gegangen“, erinnert er sich. „Und auch Kärwa habe ich schon gefeiert. Ich finde das cool. Hier wird eben nicht so oft gefeiert wie in Mexico, aber dafür richtig. Die Leute machen das so schön mit Familie und Freunden und alle kommen. Außerdem habe ich schon Inder, Afrikaner, alle Nationalitäten auf diesen Festen gesehen. Die wurden alle herzlich empfangen.“
Und so wundert es nicht, dass zu seinen neuen Gewohnheiten inzwischen das feierliche Tragen einer Lederhose gehört. Oder eben die perfekte Aussprache von „Wärschtlamo“.