Jeder in Hof kennt Peter Kampschulte. Als Theaterschauspieler, als Gastronom, als Moderator, als Paradiesvogel. In über dreißig Jahren auf Hofer Bühnen, hinter Mikrofonen und vor Publikum ist Kampschulte Kult geworden. Höchste Zeit, ihn zu treffen.
Kampschulte ist keine 1,80 groß, aber er ist ein Mensch, der es versteht, Räume zu betreten: Er fällt immer auf, und es ist schwer zu sagen, ob das an seinem Hut, seinem Schal, seinem federnden Gang, seiner sonoren Stimme oder seinem raumgreifenden Lachen liegt. Nichts ist leichter als mit ihm ins Gespräch zu kommen, denn Peter liebt Menschen: „Ich bin Philanthrop. Andere lesen gerne Bücher, ich Menschen.“ Wer ihn lesen will, muss vorne beginnen: Geboren 1962 in Essen, als mittleres von fünf Kindern, das die Fröhlichkeit von beiden Eltern, die Gabe, vor anderen zu sprechen, Gesellschaften zu unterhalten und zu reimen vom Vater geerbt hat. Schon als Schüler ist er beides: Schulsprecher einerseits, der die Abiturrede halten darf, Enfant terrible andererseits, das zur Rede ohne Notizen antritt, improvisiert und sich bis hin zur Wortwahl „scheiß Schule“ so vergaloppiert, dass „mein Vater auf seinem Stuhl immer kleiner wurde.“ Das ist typisch Kampschulte: Er erzählt die Anekdote, ohne seinen Part zu schönen.
Mit der Theater AG seines Gymnasiums steht er zum ersten Mal auf der Bühne, spielt in Fernando Arrabals absurdem Picknick im Felde einen der beiden Soldaten. „Aber damals hat noch keiner gesagt: Peter, werd Schauspieler!“ Kampschulte studiert Volkswirtschaft in Regensburg, das ihm so viel Zahlendreherei abverlangt, dass er auf Psychologie umsattelt. Kurz vor der Diplomarbeit schwenkt er um und hört auf seine Freunde vom Regensburger Theater, die jetzt durchaus sagen: „Mit Deinem Talent – geh doch mal zu einer Schauspielprüfung!“ So tritt er in München vor der Paritätischen Prüfungskommission an, in der Intendanten, Regisseure, Dramaturgen und Schauspieler über die Eignung eines Bewerbers entscheiden, und trifft dort, wie er es nennt, sein „Schicksal Hof“ – in Persona Reinhold Röttgers, damals Intendant in Hof, der zu ihm sagt: „Na, aus uns wird mal was!“ 1988 holt Röttger den Quereinsteiger zu seinem ersten Engagement nach Hof, einer kleineren Rolle in Schillers Räuber. Dass Kampschulte nie Schauspielunterricht hatte, sondern Autodidakt ist, wissen bis heute selbst viele, die ihn oft auf der Bühne gesehen haben, nicht. Wie auch: Ein guter Schauspieler ist ein guter Schauspieler.
Hof wird schnell Kampschultes Heimat. Die Stadt, 1988 noch am Ende der Welt, ist ein Jahr später plötzlich mittendrin und überfüllt, mit extremer Kneipendichte, voller interessanter Menschen. Kampschulte tanzt auf allen Hochzeiten, moderiert neben dem Theater unzählige Veranstaltungen und on Air bei Radio Euroherz – „ich habe durchgesagt, wo DDR-Bürger Hilfe bekommen, es einen Übernachtungsplatz gibt. Eine total wilde Zeit!“ Nach seinem selbstgewählten Motto „Von der Wiege bis zur Bahre – Kampschulte, der einzig Wahre!“ bespaßt er Kindergeburtstage und hält Trauerreden. Wenn es drauf ankommt, ist er die Rampensau. Und wenn es drauf ankommt, ganz leise.
„Ich denke, man kann sich auch in die kleinste Rolle
so tief reinknien, dass die Leute nicht mehr vergessen, was man
auf der Bühne gemacht hat.“
Am Theater spielt Kampschulte in den nächsten dreißig Jahren über 110 Rollen von Tragödie bis Komödie, beherrscht Tiefe und Leichtes. Auf die ganz großen Rollen – „das ist vielleicht auch die Tragik meines Schauspielerlebens“ – wird er nicht besetzt. Er sagt das ernst, aber ohne Groll. Denn das alte Theateraxiom stimmt: Es gibt keine kleinen Rollen, nur kleine Schauspieler. „Ich denke, man kann sich auch in die kleinste Rolle so tief reinknien, dass die Leute nicht mehr vergessen, was man auf der Bühne gemacht hat“, sagt Kampschulte. Und seine Antwort auf die Frage, welche für ihn die allerwichtigsten Rollen waren, überrascht ohnehin: Die in den vielen Kinderstücken, für die er oft von Schule zu Schule herumgereist sei, Nippes und Stulle spielen Froschkönig zum Beispiel. „Kinder musst Du packen und begeistern. Sie langweilen sich sofort, wenn sie spüren, dass Du nicht hundertprozentig da bist.“ In George Taboris Mein Kampf spielt Kampschulte Hitler – „leider war ich ziemlich gut. In meinem Freundeskreis wurde ich in der Zeit nicht so geschätzt.“ Drechsel inszeniert ihn in Süskinds Kontrabaß – „so ein Solo-Stück ist das Größte für jeden Schauspieler“. Ganz allein auf der Bühne ist Kampschulte auch in Walter Jens Die Verteidigungsrede des Judas Ischariot, die dem Publikum eine radikal andere Sicht auf den Verräter Judas abverlangt. Kampschulte spielt das Stück bis heute immer wieder, auch in Kirchen, und erlebt das Besondere: Nicht den Applaus nach dem letzten Satz, sondern konzentrierte Stille.
Die Hofer Theaterwelt hat sich in dreißig Jahren verändert. Mit Wehmut erinnert sich Kampschulte an das alte Theater in der Schützenstraße. „Niemand hatte Platz, alles war eng, aber das Haus hatte Charme. Sein Abriss hat richtig weh getan.“ Auf das alte Gemäuer folgt 1994 der Umzug in das neue Theater in der Kulmbacher Straße, auf Intendant Röttger folgt Drechsel, folgt Friese. Kampschulte bleibt eine Konstante; heute ist er nicht nur ältester, sondern auch dienstältester Schauspieler des Ensembles. Dienst ist auch ein Begriff, der Kampschultes Schauspielverständnis beschreibt: Er will dem Regisseur, dem Stück dienen.
Ganz passend zur dienenden Haltung ist seine Zweitkarriere als Wirt: 2009 eröffnet Kampschulte mit seiner Lebensgefährtin Jasmin Burkhardt das „Kafé Kampschulte“ in der Karolinenstraße – „ein Kleinod, klein und außergewöhnlich“, das nicht nur für kulturelle Spezialitäten, sondern auch seinen veganen Brunch berühmt ist und heute von seiner Partnerin Jasmin alleine geführt wird. 2015 übernimmt Kampschulte am Theater die Foyer-Bewirtung und „die schönste Theaterkantine der Welt“. In Kampschultes Kulturkantine essen nicht nur die Theatermitarbeiter, hier finden Matineen, Premierenpartys und Poetry Slams statt, das Publikum trifft nach den Vorstellungen bei einem Bier direkt auf die Schauspieler – das gibt es kaum woanders.
Das Theater ist „der seligste Schlupfwinkel für diejenigen, die ihre Kindheit heimlich in die Tasche gesteckt und sich damit auf und davon gemacht haben, um bis an ihr Lebensende weiter zu spielen“, hat Max Reinhardt gesagt, und auf Kampschulte, Vater von fünf Kindern, trifft das voll zu. Er ist immer weit weg vom Mainstream, beruflich und privat, früher mit seinen knallbunten Outfits, heute mit seinen Überzeugungen über Himmel, Erde und das Dazwischen – außerirdisches Leben, Mikrowellenstrahlung und Eigenurintherapie – vor allem aber ist er Kind geblieben: offenen Herzens, neugierig, staunend. Er hat nie aufgehört, groß zu träumen: Den Mephisto am Burgtheater spielen, das ist sein Traum. Drunter geht’s nicht. Klar weiß er, dass 160 andere Kollegen das auch wollen, aber träumen ist erlaubt. Würde der Traum wahr, bliebe Wien übrigens ein Gastspiel, denn Kampschulte würde nach Hof zurückkommen; das sagt viel darüber aus, wie sehr sein Herz an Hof hängt. Wie gut, dass Kampschulte hier ist, auf der Bühne, als Wirt, ein bisschen auch als Gesamtkunstwerk. Man sollte ihn treffen: In der Kulturkantine oder im Kafé, denn nicht nur seine Kneipen sind Kult, er selbst ist es längst auch.
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Peter Kampschulte ist in der Theatersaison 2019/20 zu sehen in: Die kleine Hexe, Hossa! – Die Hitparade 2, Der Rest, Die Ratten. Infos und Karten unter www.theater-hof.de.
2 Kommentare
Gut geschrieben. Echt toll. Danke.
Peter ist hier in Hof wirklich unverwechselbar. Man fühlt sich schnell vor Neugier zu ihm hingezogen. Er ist daher wahrlich ein Magnet. Zudem offensichtlich ein viel begabter Geselle. Es freut mich solche Menschen wie ihn in der Region zu haben, in der ich erst seit 2013 Liebe und Heim gefunden habe. Als treuer Besucher des Theaters bin ich immer wieder erfreut, ihn voller Energie zu sehen. Dort darf er nicht fehlen.