Wenn Matthias Puchtler morgens aus dem Fenster schaut, begrüßt ihn nicht selten eine Gruppe Rehe auf der Lichtung gegenüber seines Hauses am Rand von Friedmannsdorf. Der Ort, der zur Marktgemeinde Zell im Fichtelgebirge gehört, hat gut 100 Einwohner, eine bekannte Party-Location, einen Spielplatz, eine Freiwillige Feuerwehr und eine Forellenräucherei. Was auf den ersten Blick wie ein überschaubarer, ländlicher Hobbybetrieb wirkt, ist tatsächlich eine unternehmerische Erfolgsgeschichte: sieben Mitarbeiter, über zehn Tonnen verarbeiteter Fisch pro Jahr, Umsätze im sechsstelligen Bereich. Ihr Autor: Matthias Puchtler, ein Mann, der seine Leidenschaft zum Beruf gemacht hat.
Der 52-Jährige angelt seit er acht ist, mit dem Räuchern begann er ungefähr mit siebzehn. Insgesamt mehr als vierzig Jahre Begeisterung für Fisch plus unternehmerisches Geschick, Beharrlichkeit und gute Ideen – ein Geschäftskonzept, das aufgeht. Mit den Händen gearbeitet hat der gebürtige Gefreeser schon immer: anfangs als gelernter Betriebsschlosser, anschließend in der Lagerverwaltung. Nach über 25 Jahren, mit 41, als Logistikleiter und Vater zweier Kinder, dann der berufliche Wendepunkt. „Das Arbeitspensum im industriellen Sektor war immens, ich stand mit einem Bein im Burnout“, erzählt Puchtler. Seine Fische oder der Job, beides war nicht mehr leistbar. Mit der Familie im Rücken entschied er sich für den Neustart. Dazu, sich selbständig und das Hobby zum Beruf zu machen: Fischräucherei im Haupterwerb.
Fisch- und Teichwirt ist ein Lehrberuf mit klassischer dualer Ausbildung, Fischveredler oder Räucherer nicht. Es gibt Empfehlungen, aber keine fixen Richtlinien. Ausprobieren, experimentieren, Erfahrungen austauschen und daraus individuelle Schlüsse ziehen – so entsteht ein einzigartiges Produkt. Wie genau, dazu empfiehlt der Fachmann das 2015 erschienene Buch „Fische räuchern Schritt für Schritt“, an dem er selbst mitgearbeitet hat, Hand in Hand mit Autor und Angelprofi Jörg Strehlow. Auf dessen Terrasse hatte Puchtler eigens einen Räucherofen gebaut, der anschließend drei Tage im Dauerbetrieb lief. Das Ergebnis: gut 150 Seiten voller Rezepte, Techniken und Infos über Zubehör und Räucheraromen. „Die Frage ist, wie möchte ich den Fisch haben? Welche Farbe soll er bekommen? Soll er trockener sein oder eher saftig?“, erklärt der Experte. „Meine Ergebnisse habe ich im privaten Umfeld verkostet, und die Resonanz war von Anfang an positiv.“ Einzige Voraussetzung für den Räucherprozess ist, dass eine Kerntemperatur von 60 Grad Celsius erreicht wird. Denn erst ab etwa 45 Grad verändert das Eiweiß seine Struktur und gerinnt. Bei der Dauer des Vorgangs beispielsweise oder der Wahl des Holzes für den Räucherofen hat Puchtler viele Freiheiten. Es sollte eben am Ende nur schmecken.
Verkaufsstart von Ladentür zu Ladentür
Und das tut es seit über zehn Jahren – als klassischer Räucherfisch und vor allem als Forellensalat. Damit hat der Friedmannsdorfer Unternehmer offensichtlich eine Marktlücke geschlossen. „Ich bin zu den Metzgern in der Umgebung gefahren, habe sie probieren lassen und hatte die ersten Abnehmer. Die Bereitschaft, zu verkaufen, war sofort da.“ In einer dieser Metzgereien wurde der Leiter eines Lebensmittelmarktes auf den neuen Forellensalat aufmerksam. Wenig später hatte er das Produkt in seiner Kühltheke. Nach vier Monaten meldete sich dessen Regionalvertreter, orderte für sechs weiter Märkte. Noch einmal drei Monate später dann die Anordnung der Regionalvertretung, den Salat komplett ins Sortiment aufzunehmen.
„Sowohl bei den Fischen als auch bei den anderen Zutaten verwende ich nur Ware, von der ich selbst überzeugt bin. Mir ist es wichtig, die Qualität sicherstellen zu können, auch wenn mich das im Einkauf vielleicht etwas mehr kostet.“
Matthias Puchtler
Matthias Puchtler stockte Schritt für Schritt Personal und Produktionskapazitäten auf, beliefert inzwischen flächendeckend die Landkreise Hof, Bayreuth und Kulmbach. Gut 60.000 Becher landen jährlich auf den Tischen der Region. Warum der Forellensalat bei den Oberfranken, die sonst eher für Werschd und Glees zu haben sind, solchen Absatz findet, beantwortet er mit einem Schmunzeln und einem Achselzucken: „Ganz ehrlich – ich kann’s mir nicht wirklich erklären.“ Er selbst hat das Rezept vor etwa dreißig Jahren ausgetüftelt, immer wieder abgeschmeckt, bis es so war, wie er es haben wollte. Das A und O sind seine selbst geräucherten, teilweise auch selbst gezüchteten Forellen. „Sowohl bei den Fischen als auch bei den anderen Zutaten verwende ich nur Ware, von der ich selbst überzeugt bin. Mir ist es wichtig, die Qualität sicherstellen zu können, auch wenn mich das im Einkauf vielleicht etwas mehr kostet.“
Produktqualität als Ehrencodex
Siebzehn Teiche bewirtschaftet der Friedmannsdorfer Unternehmer mittlerweile, fischt sie – je nach Bedarf – mehrmals pro Woche ab. Was er nicht selbst züchtet, bezieht er seit Jahren ausschließlich von einem Händler bei Coburg. Tiere aus dem Ausland oder von Anbietern, die er nicht kennt, kommen für ihn nicht in Frage. Außerdem verwendet er ganz bewusst nur Tiere, die er lebend gesehen hat. Das gilt für die eigenen und die zugekauften. So kann er deren Qualität besser beurteilen. „Ich muss wissen, wie wird der Fisch gehalten, welches Futter bekommt er. Ich kann in den Fisch natürlich nicht hineinschauen, aber ich kann von einem guten Händler kaufen, dem ich vertraue.“ Mindestens genauso wichtig ist Matthias Puchtler die frische Zubereitung seiner Produkte: Maximal eine Stunde nach der Lebendanlieferung werden die Forellen in seiner Räucherei direkt veredelt.
Einen typischen Arbeitstag gibt es bei Matthias Puchtler nicht, dafür eine durchgetaktete Arbeitswoche. Montags werden die Kunden abtelefoniert und Bestellungen aufgenommen, parallel starten Schlachtung und Produktionsvorbereitung, am Mittwoch geht es in die Veredelung, und die ersten Lieferungen verlassen den Betrieb, sodass die Ware am Donnerstag, Freitag und Samstag – den verkaufsstärksten Wochentagen – frisch in Märkten und Metzgereien steht. Bürotätigkeit, Schlachtung, Zubereitung oder Vertrieb – für alle Bereiche hat der Chef zur Unterstützung nach und nach Teilzeitkräfte eingestellt, um die kontinuierlich steigende Nachfrage bedienen zu können. Er selbst packt überall mit an. Besonderen Wert legt er auf die Auslieferung, weil hier der direkte Kontakt zu seinen Abnehmern entsteht. Das persönliche Feedback ist ihm extrem wichtig, um auf den Bedarf des Marktes reagieren zu können. Außerdem entsteht ein Vertrauensverhältnis, von dem beide Seiten profitieren. „Für die Anlieferung bekomme ich von meinen Kunden teilweise sogar schon die Schlüssel.“
„Regional ist das neue Bio“
Das ist nur ein Vorteil seiner Direktvermarktung. Im Supermarkt vor Ort sei er beispielsweise komplett frei in der Preisgestaltung, erzählt Puchtler. Vorgaben gibt es keine. Dafür gezielte Anfragen der Kundschaft im Markt nach regionalen Produkten – auch nach seinen. „Warum hast du das oder das nicht im Angebot? Sowas passiert vielleicht fünf Mal, dann klingelt bei mir auch schon das Telefon.“ Regionalität werde von den Märkten massiv beworben und sei durchaus ein Trend, der sich in der Nachfrage bemerkbar mache. Auch, wenn er sich nur schwer in Zahlen messen lasse, weil sein Geschäft ohnehin viel Zuwachs habe. „Der Oberfranke will anfangs schon erst mal überzeugt sein. Aber wenn er das Produkt probiert hat, wirst du ihn quasi nicht mehr los“, schmunzelt der Unternehmer.
„Wir haben hier die meisten Brauereien, Metzgereien und Bäckereien. Kulinarisch leben wir hier auf höchstem Niveau.“
Matthias Puchtler
Mund-zu-Mund-Propaganda, Kundentreue und persönlicher Kontakt sind für den Friedmannsdorfer eindeutig wirtschaftliche Vorteile des ländlichen Raums. Ein Gewinn, nicht nur für ihn, sondern auch für den Konsumenten. „Direkt am Abnehmer zu sein, macht für mich einiges leichter. Aber gleichzeitig stehe ich natürlich persönlich für die Qualität meiner Produkte ein, muss sie immer 1:1 vertreten können. Das muss dann schon passen.“ Und es passt tatsächlich. Der Erfolg gibt ihm Recht. „Ich bin schon ein bisschen stolz darauf, dass ich über die Jahre keinen einzigen Firmenkunden verloren habe. Außerdem habe ich gemerkt, dass ich aktiv keine Neukunden mehr gewinnen muss. Die kommen von selbst.“
Etwa 70 Prozent des Umsatzes macht Matthias Puchtler mit seiner Cash Cow, dem Forellensalat. Der Bestseller hat das ganze Jahr über Saison, egal ob im Januar oder im September. Ernst zu nehmende Konkurrenz sieht sein Hersteller auf dem Markt kaum. Die restlichen 30 Prozent erwirtschaftet er mit geräucherten Forellen, Forellenfilets, Lachssalat, Fischplatten für Caterings, Räucherkäse und dem „etwas anderen Fischbrötchen“. Die Eigenkreation entstand in Zusammenarbeit mit einer Münchberger Bäckerei nach mehr als zwanzig Testläufen mit verschiedenen Rezepten. „Ich hatte die Idee, mal was Neues zu machen, das keiner hat. Es ging um die Kombination aus Fisch und Brot.“ Herausgekommen ist ein Roggenbrötchen, in das ein Stück frischer, speziell gewürzter Lachs eingebacken wird. Das Ganze kommt komplett ohne Soße oder Dressing aus. Alles, was Bäcker und Räucherer dahingehend ausprobiert hatten, ging entweder beim Backen verloren oder machte den ursprünglichen Geschmack kaputt. Als besonders wichtig stellte sich dagegen die Optik heraus. „Man muss das Brötchen einschneiden, damit man den Fisch als Füllung auch sieht. Sonst verkauf es sich nicht.“
Die Resonanz auf den eingebackenen „Lachs to go“ war positiv, vor allem auf Märkten und Events, bei denen Matthias Puchtler mit seinem Verkaufswagen vor Ort ist. Diese Form des Direktvertriebs nutzte er bisher gerne, um seine Produkte an den Wochenenden von der (potenziellen) Kundschaft verkosten zu lassen. Bis Corona kam und dieses Geschäftsfeld von heute auf morgen komplett weg brach, genau wie das Catering: keine Konfirmationen, keine Firmenfeiern, keine Geburtstage, kaum öffentliche Veranstaltungen. Ob der mobile Stand irgendwann wieder unterwegs sein wird, ist fraglich. Zu hoch wären wohl die fälligen Investitionen. Außerdem mache er sich selbst Konkurrenz, weil seine Produkte ohnehin oft in den Supermärkten vor Ort zu haben seien, rechnet der Unternehmer.
Puchtlers Glücksformel: Mut zum Fisch
Den Schritt in Eigenverantwortung und Selbständigkeit hat Matthias Puchtler nie bereut. Im Gegenteil: Er hat seinen Traumjob gefunden. In den vergangen zehn Jahren gab es maximal zwei Tage, an denen er „keine Lust“ hatte. Meistens aber hatte er nicht einmal das Gefühl, tatsächlich zur Arbeit zu gehen. „Am Anfang dachte ich abends immer, du hast ja heute gar nix gemacht. Nur mit Fischen gespielt.“ Und trotzdem bringt er es nicht selten auf 50 bis 60 Stunden pro Woche. „Durch den Erfolg, den ich mit der Firma habe, gibt es schon viel zu tun. Aber wenn, du Erfolg haben willst, gehört das eben dazu.“ Sein eigener Chef zu sein, das hat schon was, findet er. „Wie ich mir die Arbeit einteile, ist meine Sache. Es ist keiner da, der sagt, du musst. Und ich entscheide selbst, was und wann und wer mich ärgert oder auch nicht.“
Wobei er die Menschen im ländlichen Raum größtenteils als sehr herzlich erlebt. Deshalb bedeutet die Gegend für ihn privat auch in erster Linie Zuhausesein. Für sein Unternehmen sieht er einen großen Standortvorteil darin, im Kreis der regionalen Kulinarik unterwegs sein zu können. „Wir haben hier die meisten Brauereien, Metzgereien und Bäckereien. Von daher weiß die Kundschaft des Regionale einfach zu schätzen.“ Die aktive Mitgliedschaft in der Genussregion Oberfranken ist da nur logische Konsequenz. „Alle Metzger im Verein haben zum Vertrieb meiner Produkte sofort Ja gesagt, ohne zu zögern. Das ist schon eine Message: Wir sind die Region, die Region hält zusammen.“
Text: Ulla Gemeinhardt-Rausch
Fotos: Christopher Rau