Die Großstadt nach dem Studium wieder verlassen und aufs Land ziehen. Das schien für junge Mediziner lange keine attraktive Option zu sein. Doch es gibt sie – die jungen Landärztinnen und Landärzte, die sich ganz bewusst dazu entscheiden, sich hier im Hofer Land niederzulassen. Stadt.Land.Hof hat mit einer jungen Ärztin gesprochen, die den Schritt gewagt hat. Sie hat eine Praxis auf dem Land übernommen und erzählt uns von ihren Erfahrungen.
Dr. med. Ann-Kathrin Oehme ist niedergelassene Allgemeinmedizinerin auf dem Land. Die 34-Jährige entschied sich ganz bewusst dafür, zum Jahresbeginn 2021 die Praxis von Dr. Norbert Mai am Maxplatz in Rehau zu übernehmen. Viele ihrer Patientinnen und Patienten kennt Oehme allerdings nicht erst seitdem. Die Fachärztin für Innere Medizin und Allgemeinmedizin mit Zusatzbezeichnung für Palliativmedizin war schon seit 2019 als angestellte Ärztin in der Rehauer Praxis tätig.
Das Schöne am Hausarztberuf
Warum sie sich für eine eigene allgemeinmedizinsiche Praxis entschieden hat? „Ich wusste im Wesentlichen, worauf ich mich einlasse“, sagt die gebürtige Hoferin Ann-Kathrin Oehme. Auch ihr Vater war schon als Hausarzt tätig. An ihrer Arbeit schätzt sie die Vielfältigkeit der Aufgaben und vor allem den regelmäßigen Kontakt zu ihren Patientinnen und Patienten. Er erlaubt ihr, dauerhaftere Bindungen aufzubauen. „Während meiner Arbeit als Klinikärztin hat mich oft gestört, dass man vielen Patienten nur einmal begegnet.“ Das sei fast nur während ihrer Zeit auf der Onkologie oder der Nephrologie anders gewesen. Dort sah sie die Patienten regelmäßiger, wenn sie zur Chemotherapie oder zur Dialyse in die Klinik kamen. Und sie macht auch keinen Hehl daraus, dass eine eigene Praxis die Arbeitszeiten freier gestaltbar macht – gerade auch dann, wenn man eine Familie gründen will. „Für Ärztinnen, die auch Mütter waren, war der Klinikbetrieb schon deutlich schwieriger mit Familie zu vereinbaren“, hat sie, selbst werdende Mutter, beobachtet.
Als junge Ärztin aufs Land
Doch ist sie als Ärztin auf dem Land nicht eigentlich immer im Dienst? Das in Fernsehserien vermittelte Bild der immer und überall ansprechbaren „Frau Doktor“ ohne Feierabend und ohne Privatleben trifft auf Oehmes Situation nicht mehr in dem Ausmaß von früher zu. „Natürlich treffe ich Patienten auch im Alltag wieder. Aber es ist bei Weitem nicht so, dass ich dann ständig auf ausstehende Ergebnisse angesprochen oder um ärztlichen Rat gefragt werde. Das mag früher öfter der Fall gewesen sein. Aber heute akzeptieren die meisten, dass auch Ärzte als Privatmenschen unterwegs sind.“ Schmunzeln kann sie über ihre Erfahrung, bei ihren Arztbesuchen in Pflegeheimen für die Physiotherapeutin gehalten zu werden. „Ich bin halt noch sehr jung. Eine junge Ärztin auf Hausbesuch ist offenbar noch ungewohnt für manche Menschen.“
Eine alteingesessene Praxis übernehmen
Ist es schwer, als junge Ärztin auf dem Land bei den Patienten Fuß zu fassen? Gerade dann, wenn man die Praxis eines Kollegen übernimmt, der seit Jahrzehnten dort praktiziert hat? Es gibt solche und solche Patienten, hat Ann-Kathrin Oehme festgestellt. Manche Patienten wollten gerne die jahrzehntelange Bindung bis zuletzt beibehalten, völlig ohne Vorbehalte. „Eine Patientin sagte einmal zu mir sogar, ich solle nicht böse sein, aber sie sei eben schon 30 Jahre bei Dr. Mai in Behandlung.“ Als ihr Vorgänger dann in Ruhestand gegangen war, standen ihr einige dieser Patientinnen und Patienten, die eine intensive und ausschließliche Bindung zu ihrem Vorgänger hatten, anfänglich kritischer gegenüber. „Die meisten dieser Patienten haben mich dann erst einmal kennengelernt und sind zu dem Schluss gekommen, dass sie mir vertrauen können und ich mir viel Mühe gebe.“ Ein paar seien auch weggegangen. Die zweite Gruppe sind diejenigen Patientinnen und Patienten, die schon während der gemeinsamen Zeit mit ihrem Vorgänger zwischen ihm und ihr hin- und hergewechselt seien. Für sie ist sie nun eben die alleinige Hausärztin. Hinzu kommt ihr Eindruck, dass mehr junge oder jüngere Menschen zu ihr kommen. „Sie wollen vielleicht lieber einen gleichaltrigen Arzt .“ Oehme hat so schon einen guten Patientenstamm aufgebaut. Das Patientenaufkommen ist dadurch hoch und die Praxis arbeitet an der Belastungsgrenze. Da zahlt es sich erst recht aus, dass das Praxisteam so gut eingespielt ist. „Ich habe das Glück, dass alle drei langjährigen medizinischen Fachangestellten bei mir geblieben sind“, sagt sie. Sie kümmern sich nicht nur um die Patienten. „Sie passen auch auf mich auf.“ Gerade jetzt in der Schwangerschaft ist das für sie eine wunderbare Sache.
Praxisorganisation – mit System und Unterstützung
Doch was kann sie leisten bzw. was erwarten die Patienten von ihr? „Ich will meine Patienten gut medizinisch versorgen – auch bei eingeschränkter Mobilität.“ Das ist auf dem Land nicht immer so einfach, vor allem für ältere, alleinstehende Menschen. „Sie müssen sich ganz schön strecken. Der Hofer Landbus hat da aber schon viel aufgefangen“, lobt sie das flexible Angebot im Öffentlichen Nahverkehr in Rehau und Regnitzlosau.
Für Oehme sind dennoch Hausbesuche ein ganz wichtiger Teil ihrer Arbeit. In Notfällen fährt sie sofort los, ansonsten kann eine Hausbesuchsanforderung vonseiten der Patienten erfolgen. Der Hausbesuch findet dann zu vereinbarten Terminen Dienstag- und Mittwochnachmittag außerhalb der Sprechstunden statt. „Seitdem ich die Praxis alleine führe, muss ich schon eine engere Auswahl treffen, wen ich besuchen kann“, sagt Oehme. Gerade durch meine aktuelle Situation mit der Schwangerschaft. Sonst ist es nicht zu schaffen, und Besuche der Patienten in der Praxis seien auch wichtig, um zum Beispiel technische Untersuchungen durchführen zu können. Entlastung findet sie im Rahmen der UGHO (Unternehmung Gesundheit Hochfranken). Ihre Praxis ist diesem Gesundheitsnetz angeschlossen. Diejenigen ihrer Patienten, die UGHO-Patienten sind, können die Leistungen des Projektes eNurse® in Anspruch nehmen. „Das hilft schon sehr“, sagt Oehme.
Die niedergelassenen Ärzte im Hofer Land organisieren und unterstützen sich in verschiedenen Netzwerken wie der Unternehmung Gesundheit Hochfranken (UGHO), der Ärztegenossenschaft Hochfranken (ÄGH) und Weiterbildungsverbünden Hofer Praxisnetz und Praxisnetz Hochfranken.
Ihr Vorgänger hatte mit seinen Patienten die Vereinbarung, dass sie mit allem und immer kommen können. Oehme will das grundsätzlich fortführen, und hat sich daher vor der Praxisübernahme unter anderem bei ihrem Vorgänger intensiv auf das Aufgabenfeld einer allgemeinmedizinischen Praxis vorbereitet. „Mir war wichtig, diese Arbeitsweise zu vertiefen. Die Allgemeinmedizin ist ein ganz breites Feld. Man muss von allem ein bisschen was können, weil man der erste Ansprechpartner der Patienten ist. Außerdem gehören spezielle Arbeitsweisen dazu, die man in der Klinik nicht lernt.“
Entscheidung Praxisübernahme
Wann hat sie sich entschieden, den Schritt einer Praxisübernahme zu gehen? „Einen festen Zeitpunkt kann ich da gar nicht nennen“, sagt Oehme. Das habe sich im Laufe ihrer verschiedenen beruflichen Stationen irgendwann herauskristallisiert. „In der Klinik wäre ich auf Dauer nicht glücklich geworden“, ist sie sich sicher. Als sie 2019 als sogenannte Weiterbildungsassistentin zu Dr. Mai in die Praxis nach Rehau kam, „war aber schon klar, dass ich das machen will.“ Sie gibt aber auch zu, dass sie den Schritt ohne die tatkräftige Unterstützung ihres Mannes nicht gemacht hätte. „Er begleitet mich auf Basis seiner beruflichen Erfahrung sehr, vor allem im wirtschaftlichen und rechtlichen Bereich.“
Als Hausärztin ins ländliche Oberfranken
Fühlt sie sich auch von Seiten des Staates gut unterstützt? Ja, hier wurde erfreulicherweise die in Bayern bestehende Landarztprämie im Januar 2021 neu aufgelegt und durch die Größe von Rehau konnte sie diese bekommen. „Diese hätte ich in der Stadt Hof durch die große Einwohnerzahl und Facharztdichte nicht bekommen.“ Nach Oehmes Einschätzung ist unter anderem unsere Region für eine solche Förderung prädestiniert. „Hausärzte fehlen auch in Oberfranken ganz stark.“
Die Landarztprämie unterstützt die Niederlassung von Haus- und Fachärzten der allgemeinen fachärztlichen Versorgung sowie von Kinder- und Jugendpsychiatrien einmalig mit bis zu 60.000 Euro dann, wenn sich die Ärztinnen und Ärzte in Gemeinden niederlassen, die nicht mehr als 20.000 Einwohner haben und nach der Bedarfsplanung der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns nicht überversorgt sind.
Sie findet auch die aufgelegten Stipendienprogramme super, die diejenigen Medizinstudierenden während der Ausbildung finanziell unterstützt, die sich verpflichten, nach dem Studium als Ärzte im ländlichen Raum zu arbeiten. „Das bringt mehr junge Kollegen in unseren interessanten Beruf, die sich sonst vielleicht nicht dafür interessiert hätten.“
Drohender Ärztemangel ist ein Thema, das viele ländliche Regionen umtreibt. Der hochfränkische Landkreis Hof und die Stadt Hof jedoch gehen diese Zukunftsfrage offensiv an und sind mit eigenen Förderprogrammen kreativ geworden. Sie sind Teil der Gesundheitsregionplus , die das Ziel verfolgt, die Gesundheit der Bürger und Bürgerinnen zu erhalten, zu fördern und zu verbessern sowie eine Chancengleichheit zwischen ländlichen Regionen und den Ballungszentren herzustellen.
Der Landkreis Hof hat in diesem Rahmen ein eigenes Förderprogramm aufgelegt, um die medizinische Versorgung des Hofer Landes nachhaltig und für die Bürgerinnen und Bürger wohnortnah zu sichern und so dem Ärztemangel in Hochfranken aktiv zu begegnen. Das Programm besteht aus zwei Modulen: einem mit maximal 25.200 Euro geförderten Stipendienprogramm für Medizinstudenten („Hof braucht Helden“) und einer Wochenendeinladung ins Hofer Land („Arbeiten, wo andere Urlaub machen“), um regionale Freizeit- und Karrieremöglichkeiten vorzustellen. 2020 fand bereits ein solches Superheldenwochenende statt. Auch 2021 ist ein solches geplant.
Oehme begrüßt zudem sehr, dass das Medizinstudium an sich den Part der Allgemeinmedizin stärker verpflichtend lehrt als noch zu ihrer Studienzeit. „Ich finde es sehr sinnvoll, dass mittlerweile ein Vierteljahr des Praktischen Jahres in der Allgemeinmedizin absolviert werden muss. Viele Arbeitsweisen aus der Allgemeinmedizin sind auch für andere Fächer eine Bereicherung“ Damit hat sich deren Lehr-Status deutlich verbessert, konnte man Allgemeinmedizin früher als Medizinstudent doch mit einem Semester Vorlesung und einem Praktium „abhaken“.
Traumberuf Landarzt
Würde sie einem anderen Mediziner zu einem Landarztdasein raten? „Unbedingt. Allgemeinmedizin überrascht immer wieder, ist vielseitig und abwechslungsreich, man ist zwar genauso durchgetaktet, vor allem in der Einzelpraxis, aber anders alsin anderen Facharztdisziplinen. Das Schöne am Leben auf dem Land ist für mich, dass ich mich nach einem anstrengenden Arbeitstag in der Natur erholen kann“, ist das Fazit von Dr. Ann-Kathrin Oehme. Das spricht für eine gute Work-Life-Balance, die sie als baldige berufstätige junge Mutter mit Sicherheit zusätzlich zu schätzen weiß.