Was verbirgt sich hinter dem Namen „Fa. Rohleder“, der am Ortseingang von Konradsreuth auf einem nüchternen braunen Hinweisschild mit weißer Aufschrift zu lesen ist? Etwas mit Leder vielleicht? Gute Frage. Stadt.Land.Hof ist ihr nachgegangen.
Luisa Oelschlegel aus dem Marketingbereich des Unternehmens schmunzelt. „Wir kennen diese Frage“, sagt sie. Und sie ist auch ein bisschen stolz darauf, dass sie die Antwort „nein“ darauf geben kann. „Rohleder zählt zu den führenden und modernsten Möbelstoffwebereien Europas“, erklärt sie. Die Produktion von Bezugsstoffen, so wie Rohleder sie betreibt, ist für sie ein vielseitiges und kreatives Betätigungsfeld. „Wir wollen zeigen, was Stoff alles kann“, sagt die 27-jährige studierte Kommunikationsdesignerin, die seit 2015 beim Konradsreuther Unternehmen beschäftigt ist.
Wer sich in einem der drei großzügig und modern gestalteten Showrooms umsieht, in dem Gäste auf dem Firmengelände empfangen werden, erkennt sofort, dass Rohleder das auch beweisen will. Der Blick schweift über professionell aufgebaute und perfekt ausgeleuchtete Präsentationen der Stoffe. Wunderschöne Dessins, harmonische Farbwelten, ja sogar figürliche, in Stoff gewebte (Kunst-)Objekte sind zu sehen. „Unser Anspruch ist, der textilen Kultur neues Leben einzuhauchen“, sagt Oelschlegel. Dass das auch mit qualitativ hochwertigen Rohstoffen einhergeht, versteht sich von selbst. Selbst der textile Laie erkennt auf den ersten Blick, dass ihm keine 08/15-Qualitäten vor Augen stehen.
Strategie der kleinen Schritte
Für Hans Schüssel, den Geschäftsführer des als GmbH geführten Unternehmens, sind es die folgenden drei Stichworte, die Rohleder ausmachen: „Design, Qualität und Zuverlässigkeit“. Er will ein „ehrliches, anständiges Produkt“ produzieren und verkaufen. Das ist aus seiner Sicht ein Baustein des Erfolges der Firma Rohleder, die 1946 von Rudolf und Helga Rohleder gegründet wurde. Sie kamen nach dem Zweiten Weltkrieg aus Greiz nach Konradsreuth und begannen mit einem Handwebstuhl und der Produktion von Wandbehängen. Ihr Sohn Klaus Rohleder ist in zweiter Generation seit mittlerweile vielen Jahren Inhaber. Er und Hans Schüssel, der vor über 30 Jahren als Verkaufsleiter eingestellt wurde, lenken die Geschicke des Unternehmens.
„Wir suchen den engen Kontakt zu unseren Kunden und sehen sie als Partner auf Augenhöhe.“ – Hans Schüssel
Ihre Strategie ist die „der vielen kleinen Schritte“, wie Schüssel es nennt. Für sie ist dabei der Kontakt zu ihren Kunden wichtig, der den zweiten wichtigen Baustein des Unternehmenserfolges für ihn ausmacht. Deswegen ist er auch viel unterwegs, um Geschäftskontakte zu pflegen und gemeinsam mit den Kunden immer wieder verbesserte oder neue Produktideen zu entwickeln und umzusetzen.
Angeben könnte das Unternehmen Rohleder schon mit seiner Kundenliste, seinen internationalen Absatzmärkten und der Tatsache, dass die Umsätze stetig nach oben gehen. Rund 23 Millionen Nettoumsatz im Jahr sind es jüngst gewesen. Weit über eine Million Laufmeter Stoff wird jährlich produziert, alles in Konradsreuth. 190 Arbeitsplätze sind ebenfalls eine stattliche Zahl. Doch Hans Schüssel steht ganz in der Tradition der oberfränkischen Unternehmer, die sich nicht mit ihren Erfolgen brüsten wollen. Weil er weiß, dass es nur so weitergehen kann, wenn das Unternehmen immer am Ball bleibt. „Ausdauer haben wir“, sagt er und schmunzelt.
Doch was produziert Rohleder denn nun genau und für wen?
Hier kommt Peter Haag ins Spiel. Der 51-Jährige arbeitet mit einer dreijährigen Pause seit 1984 im Unternehmen. Auch er ist quasi in zweiter Generation bei Rohleder tätig. Seine Eltern waren beide bei Rohleder beschäftigt. „Mein Vater hat mich zum Weber ausgebildet“, erzählt er. Danach hat er sich noch weitergebildet. Zunächst innerbetrieblich zum Texilmaschinenmechaniker, dann an der Staatlichen Textilfachschule Münchberg zum Textiltechniker Fachrichtung Weberei. Haag kennt sich mit allen Produktionsschritten vom Garn bis zum fertigen Stoff bestens aus.
Von Urspulen, Lichtechtheit, Pilling und Co.
Er führt ins Labor, wo die 20.000 sogenannten Urspulen lagern. Das sind die Referenzmuster aller Garne in allen Farben, wie sie bei Rohleder verwendet werden. Jedes Garn, das bei Rohleder zur Verarbeitung angeliefert wird, muss in Qualität und Farbe der Urspule entsprechen. „Es gibt zwar Toleranzen, aber wenn beispielsweise die Farbe zu stark abweicht, geht das Garn zurück an den Lieferanten“, erklärt Haag. Im Labor wird auch die Lichtechtheit der Garne und fertigen Stoffe geprüft ebenso wie beipielsweise die Reibechtheit und das Pilling (die Knötchen- und Fusselbildung bei Stoffen). 13.000 laufende Garnpositionen werden aktuell bei Rohleder eingesetzt. Im Garnlager, in dem eine konstante Luftfeuchtigkeit und eine konstante Raumtemperatur herrschen, lagern mehrere Hunderttausend Garnrollen. „Das Garn darf nicht austrocknen, sonst gibt es Schwierigkeiten im Produktionsprozess“, sagt Haag.
Je nachdem, welcher Stoff in welchem Muster hergestellt werden soll, werden beispielsweise bei Jacquardvelours die benötigten Garne für die Kettfäden (Längsfäden beim Webvorgang) auf ein sogenanntes Gatter (Spulengestell) aufgesteckt und entsprechend dem zu webenden Muster über Schärmaschinen auf den Webstuhl geführt. Bei Flachgeweben werden die Ketten vorher an einer Schärmaschine geschärt – bänderweise und je nach gewünschter Fadendichte beim Gewebe und dann auf dem großen Schärbaum zur Webmaschine vorgefahren. „Für eine Stoffbahn mit einer Breite von 1,40 Meter haben wir maximal 10.000 Kettfäden zur Verfügung, aufgeteilt auf zehn Bänder zu jeweils maximal 1.000 Fäden“, erklärt Haag. Kaum zu glauben, dass hinter dem vermeintlichen Gewirr eine solche Systematik steckt. Zudem gibt es keine genormten Spulen. So müssen die benötigten Garne von der Rolle, auf der sie geliefert werden, vor dem Schären auf die Spulgröße des verwendeten Gestells umgespult werden. Das passiert in der Spulerei.
Veloursweberei, Flachweberei und, und, und …
Danach rattern in den Websälen in beachtlicher Lautstärke die vielen Webmaschinen, die oft speziell für Rohleder modifiziert sind, um komplexe Webverfahren zu ermöglichen. Rohleder ist in der Lage, alle Webverfahren zu führen – egal ob Schaft oder Jacquard, Epinglé, Velours (Samt) oder Flachgewebe, feinste Drehergewebe und Schärlis für Vorhänge und Dekostoffe. Hauptsächlich produziert Rohleder in zwei unterschiedlichen Produktionsarten – Veloursweberei und Flachweberei. Ganz vereinfacht gesagt, haben die Veloursstoffe einen Flor, die Flachgewebe nicht. Zusätzlich werden Epinglés und Dekostoffe in bis zu drei Meter Breite hergestellt.
Jürgen Oelschlegel ist der sogenannte Saalmeister bei Rohleder und zuständig für die Weberei. Der, wie er sich selbst bezeichnet, „waschechte Konradsreuther“ ist seit 33 Jahren bei Rohleder, hat dort bereits gelernt und sich zum Textilwebmeister weitergebildet.
„Rohleder ist eine tolle gute Firma. Ich habe einen abwechslungsreichen Job.“ – Jürgen Oelschlegel
Er ist unter anderem für die Produktion und die Qualitätssicherung des Produktionsprozesses verantwortlich und kümmert sich um den Umbau und die Montage der Maschinen. Die große Verantwortung trägt er scheinbar sehr gelassen.
Diese Unaufgeregtheit ist auch bei Peter Haag zu spüren, der die Verantwortung für alles trägt, was nach dem eigentlichen Weben kommt. Auch er wirkt so, als ob es nichts Besonderes sei, einen maßgeblichen Beitrag zum Erfolg eines der anerkanntesten Möbelbezugsstoffproduzenten zu leisten, der zirka die Hälfte seiner Produktion exportiert – ins europäische Ausland, nach Amerika, Russland, Japan oder den mittleren Osten. Auch die Partner in der Möbelindustrie können sich sehen lassen. Auf Rohleder-Stoffen nimmt man bei Polstermöbeln renommierter Marken wie Koinor, himolla, Joop! und vielen weiteren Platz.
Die Stoffmarke Q2
Peter Haag bleibt oberfränkisch bescheiden und sagt ganz sachlich: „Die Vielfalt an Stoffen und Qualitäten macht Rohleders Kompetenz aus.“ So entstehe eine nahezu unbegrenzt wirkende Auswahl an Materialien, Strukturen, Farben und Dessins. Mit der Entwicklung der Stoffmarke Q2 beispielsweise ist Rohleder ein ganz besonderer Coup gelungen. Die unter dem Namen Q2 vertriebenen Möbelstoffe sind überdurchschnittlich licht- bzw. farbecht, weisen eine sehr hohe Scheuerbeständigkeit und herausragende Pflegeeigenschaften auf, aber auch das Sitzklima ist sehr angenehm und die Hautverträglichkeit geprüft. Basis dieser Stoffe sind die speziell für Rohleder entwickelten, vollsynthetischen Hitex®-Fasern, die die genannten Eigenschaften schon in der Faser tragen und nicht erst hinterher in einem chemischen Prozess damit ausgerüstet werden müssen. Das wirkt sich, trotz ihres synthetischen Ursprungs, auch auf die Ökobilanz günstig aus.
„Einen natürlichen Rohstoff wie Baumwolle zu einem farbigen und gebrauchsfähigen Gewebe für Polstermöbel zu verarbeiten, ist unter ökologischen Gesichtspunkten keineswegs sinnvoll.“ – Peter Haag
Kreative Vielfalt und Designer-Kollektionen
Was alles an Dessins machbar ist, zeigt ein Besuch im hauseigenen Atelier, in dem ein zwölfköpfiges Designteam arbeitet. Zu diesem gehört Lisa Gleich. Sie ist 23 Jahre alt und hat vor drei Jahren bei Rohleder eine Ausbildung zur Produktgestalterin Textil abgeschlossen. Sie erklärt die Arbeit im Atelier: „Wir entwerfen die Stoffe. Dabei können wir auf Gestaltungsentwürfe, sogenannte Skizzen zurückgreifen, die wir oft von einem weltweiten Netz von Designern kaufen, und diese entweder so umsetzen, wie sie sind oder verändern. Wir kreieren aber auch eigene Stoffdessins oder arbeiten zusammen mit unseren Kunden an ihren Vorstellungen.“ Lisa Gleich beschäftigt sich dann auch damit, welche Materialien für die gewünschte Optik eingesetzt werden müssen. Eine sehr kreative Arbeit, die viel Spielraum für Fantasie lässt.
Sein „Meisterstück“ hat das Designteam aber wohl damit geschafft, buchstäblich Kunst auf dem Webstuhl entstehen zu lassen. 2018 war es, als die Idee bei Rohleder entstand, mit namhaften Künstlern und Designern zusammenzuarbeiten – ihre Kunst in Stoff umzusetzen. Der deutsche Künstler Olaf Hajek war dafür ein idealer Kandidat. „Wir haben Olaf Hajek einfach angeschrieben“, erzählt Luisa Oelschlegel. Seine farbenfrohen Entwürfe finden sich nun auf Plaids, Kissen, ja sogar als Bilder, Paravents oder Hocker in der Designer-Kollektion der „Rohleder Home Collection“ wieder. Über ein Jahr Entwicklungsarbeit hat es im Designteam bei Rohleder in Anspruch genommen, um die komplexen Muster aus der Feder des Künstlers in webbare Texturen zu übersetzen.
Seit 2019 arbeitet Rohleder auch mit dem niederländischen Designer Edward van Vliet zusammen, setzt dessen kreative Ideen in Kissen und Plaids um. Auch sie sind Teil der „Rohleder Home Collection“, die es seit 2018 gibt. Neben den beiden Designer-Kollektionen, die laut Luisa Oelschlegel „für Aufmerksamkeit sorgen“, umfasst sie eine Vielzahl an Plaids und Kissen, die der Firmenphilosophie entsprechend auch auf Qualität und Langlebigkeit ausgelegt sind. Sie werden vorrangig in ausgewählten Möbelhäusern und im Fachhandel vertrieben. „So wollen wir den stationären Handel stärken“, so Oelschlegel. Für alle, die keinen Handelspartner in der Nähe haben, gibt es aber auch einen eigenen Onlineshop.
Kirchweih-Sonderverkauf und karitatives Engagement
So haben also viele etwas von Rohleder – die Stoffhändler (Editeure und Stoffverleger), die Möbelindustrie und die Möbelhäuser. Können auch die Konradsreuther bzw. die Region von Rohleder profitieren? „Zur Kirchweih im Oktober öffnen wir unsere Showrooms und verkaufen günstig 1B-Ware, Musterstücke und Kissen. Dann kommen viele hunderte Menschen zu uns“, erzählt Oelschlegel und berichtet gar von einer Finnin, die Mäntel schneidert und dazu gerne auf Rohleder-Stoffe zurückgreift. „Sie nutzt diese Gelegenheit, um sich mit Material einzudecken.“ Gemeinnützig hat Rohleder Schulen, Kindertagesstätten oder das Gemeindehaus der Kirchengemeinde in Konradsreuth mit einer Spende unterstützt, wenn neue Stoffe gebraucht wurden. Auch unterstützt Rohleder das Projekt „Trösterteddys“ des Bayerischen Roten Kreuzes immer wieder gerne. „Und wir sind jederzeit gerne bereit, Stoffreste an Kindergärten oder sonstige Einrichtungen abzugeben, in denen gerne gebastelt wird“, sagt Luisa Oelschlegel.
Karrierechance „Rohleder“
Wer nicht nur gerne mit Stoff bastelt, sondern sich einen Beruf in der Stoffproduktion vorstellen kann, kann als Auszubildender, als Facharbeiter oder nach dem Studium sein Glück bei Rohleder machen. „Wir sind darauf angewiesen, auszubilden, um genügend Nachwuchs für unsere Berufsbilder zu haben“, sagt Hans Schüssel. Dass es eine Verbindung fürs Leben sein kann, zeigen die langen, abwechslungsreichen Karrieren von Peter Haag und Jürgen Oelschlegel. Beispiele wie die von Luisa Oelschlegel, die übrigens nicht mit Jürgen Oelschlegel verwandt ist, und Lisa Gleich beweisen, dass man bei Rohleder schon in jungen Jahren verantwortungsvolle Jobs bekleiden kann. Luisa Oelschlegel hat ihren Schritt nie bereut: „Ich hätte weggehen können nach dem Studium, das war erst der Plan. Aber ich wäre in der Großstadt nicht glücklich geworden, das weiß ich jetzt. Ich brauche die Natur zum Glücklichsein.“ Und in Verbindung mit dem schönen Produkt Stoff, das sie vermarkten darf, ist für sie der ideale Job.
Eine so bunte und vielfältige Welt vermutet wohl niemand hinter dem eintönigen Wegweiser am Ortseingang von Konradsreuth.
Ein Kommentar
Ich bin begeistert von der super Qualität und den interessanten Mustern. Die Idee dieser Finnin mit den Mänteln aus den bunten stoffen ist genial