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Die Knolle aus dem Hofer Land

Mögen Sie „solanum tuberosum“? Die Antwort ist „Ja“, wenn „Hofer Schnitz“, „Eigschnittna Glees“ oder „Baggala“ zu Ihren Lieblingsgerichten zählen. In diesem Beitrag geht es – richtig – um die Kartoffel, oberfränkisch „Erpfl“. Pilgramsreuth, heute Ortsteil von Rehau im Landkreis Hof, gilt als die Wiege des feldmäßigen Kartoffelanbaus in Deutschland. Heute hat der keine besondere (land)wirtschaftliche Bedeutung mehr für die Region. Eine „Frankenwälderin“ aber lässt sich nicht unterkriegen.

Hätte die Kartoffel Mitte des 16. Jahrhunderts den Weg aus ihrer Heimat Südamerika nicht zu uns nach Europa und nach Deutschland gefunden, wäre das Leid zu manchen Zeiten noch größer gewesen. Die Kartoffel hat aber nicht nur in Kriegs- und sonstigen Notzeiten vielen Menschen das Überleben gesichert. Sie war eines der wichtigsten Grundnahrungsmittel. Diese Stellung hat sie mittlerweile verloren, aber auch ihr Stigma als „Armenspeise“. In Deutschland werden heute „nur“ noch gut 60 kg Kartoffeln je Einwohner und Jahr gegessen. In den 1960er-Jahren waren es noch rund 140 kg, vor hundert Jahren gar mehr als 180 kg. Ein wichtiger Meilenstein ihrer Verbreitung liegt in unserer Region.

Der „Kartoffelpionier“ Hans Rogler

Das rauhe Klima des Münchberger Landes, des Vogtlandes und des Fichtelgebirges war für den Anbau der Kartoffel sehr gut. Die Kartoffel ist anspruchslos und ertragreich. „Die Böden unserer Region eignen sich für den Kartoffelanbau“, bestätigt Bertram Popp, Leiter des Oberfränkischen Bauernhofmuseums Kleinlosnitz. Und erzählt auch: „Das Kartoffellegen und die Pflege haben sich bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts fast drei Jahrhunderte lang kaum verändert.“ Das hieß: Legen mit der Hand in die Furchen, Anhäufeln der Erde mit dem Beetpflug, Hacken mit der Hand.

 

 

So wird wohl auch Hans Rogler aus Pilgramsreuth zu Werke gegangen sein, als er 1647 die Kartoffel in seinen Heimatort brachte und in Pilgramsreuth der feldmäßigen Kartoffelanbau in Deutschland begann.

Wie er an die Kartoffeln gekommen ist? Zu lesen ist, dass er sie von Verwandten aus Roßbach, dem heutigen Hranice in Tschechien, mitgebracht hat. Diese kannten sie wohl von einem niederländischen Soldaten, der dort einquartiert war. Im „Archiv für Geschichte und Althertumskunde von Oberfranken“ schreibt der Bayreuther Bürgermeister E. C. von Hagen 1862: „Der Sage nach hatte in Böhmen ein einquartierter niederländischer Offizier in der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts in einer dortigen Stadt von der Nützlichkeit des Baues der Kartoffel gesprochen, was man ihm jedoch nicht glauben wollte. Um die Richtigkeit seiner Angabe darzuthun, ließ er deßhalb aus seinem Vaterlande eine Partie Kartoffeln kommen und schenkte sie einem Edelmann in Böhmen, der sie auf seine Felder stecken ließ.“

Der Streit um den „Erdäpfelzehnt“

Was nun daran wahr ist oder nicht, bleibt offen. Eine schöne Geschichte bleibt es. Ein besserer Beleg für seine Pioniertat sind die Prozessakten des Gerichtsverfahrens um den „Erdäpfelzehnt“, in das die Pilgramsreuther bis Mitte des 18. Jahrhunderts verwickelt waren.

Bertram Popp, Leiter des Oberfränkischen Bauernhofmuseums; © Oberfränkisches Bauernhofmuseum Kleinlosnitz

 

 

„Nach Maßgabe des 18. Jahrhunderts ist der erste feldmäßige Kartoffelanbau in Pilgramsreuth durch diese Dokumente vernünftig belegt.“ – Bertram Popp.

 

 

 

 

 

 

Insbesondere die Zeugenaussagen der ältesten Einwohner von Pilgramsreuth lassen eine Datierung auf die Zeit um 1650 zu.

Doch worum ging es in dem Prozess genau? „Für sogenannte Schmalsaat gab es keine Abgabenregelungen“, erzählt Popp. Den Zehnt, die Abgabe von zehn Prozent des Ernteertrags an die Obrigkeit oder Geistlichkeit, hatten die Bauern nur für breit ausgesäte Pflanzen zu leisten, überwiegend Getreide. Die Kartoffel als neue Schmalsaat-Feldfrucht war in den Zehntregistern nicht aufgeführt und wurde in Pilgramsreuth nun sogar flächenmäßig auf Feldern und nicht nur im heimischen Garten angebaut. Das missfiel dem Pfarrer Matthäus Keppel, der in den 1680er-Jahren nach Pilgramsreuth kam und von höherer Stelle klären lassen wollte, dass die Pilgramsreuther auch für die Kartoffelernte zehntpflichtig wären. So kam es 1696 zum Prozess am Landgericht.

Als vereidigter Zeuge befragt, erklärte der Bauer Hans Gries(s)hammer, dass 1647 »als der Schwed« die Stadt Hof belagert habe, noch keine Erdäpfel angebaut worden seien. Aber, »er wisse gar wohl, daß Hans Rogler, mit dem er ehedeß über gedroschen, die ersten Erdäpfel von Roßbach nach Pilgrimsreuth gebracht« habe. Grießhammer bestätigte wohl auch, dass nach dem Hans Rogler auch die anderen Bauern in Pilgramsreuth angefangen hätten, die Erdäpfel anzubauen. Sie hätten erkannt, so 1696 Nicol Seidel, Klosteruntertan in der Hofer Altstadt, dass die Erdäpfel »gut thuen«. So ist es auf der Internetseite des Kloßmuseums zu lesen (Quelle: Kloßmuseum).

1698 wurde ein Vergleich geschlossen, an den sich die Pilgramsreuther Bauern bis nach dem Tod des Pfarrer Keppel im Jahr 1717 hielten und der sie verpflichtete, den großflächigen Anbau von Kartoffeln aufzugeben. Danach dehnten sie den Katroffelanbau wieder aus und sorgten damit bei dem dann amtierenden Pfarrer Opel 1740 wieder für Unmut. Der Zehntstreit flammte 1740 erneut auf, der geschlossene Vergleich endete im Jahr 1746 mit der Verfügung von Friedrich, Markgraf zu Brandenburg und Bayreuth, dass auch für Kartoffeln ein Zehnt zu bezahlen ist, will man sie anbauen. Damit war gut 100 Jahre später die „steuerrechtliche“ Stellung der Kartoffel endgültig geklärt.

Hans Rogler hat man im Jahr 1990 in Pilgramsreuth direkt neben der sehenswerten Kirche ein Denkmal gesetzt, das ihn und seine Frau bei der Kartoffelernte zeigt.

 

 

1997 gab die Deutsche Post eine Sonderbriefmarke zum 350-jährigen Jubiläum heraus.

 

Aufstieg der Kartoffel zum wichtigen Grundnahrungsmittel

Doch akzeptierten und verarbeiteten die Menschen den Neuzugang unter den Nahrungsmitteln? Aus den Tagebuchnotizen des Hofer Apothekers Michael Walburger ist bekannt, dass er schon im April 1655 Kartoffeln gepflanzt hat. Auch zu seinem 65. Geburtstag im Jahr 1659 wurden zum Festmahl Kartoffeln aufgetragen. Damit dürfte er auch unter den besser gestellten Menschen seiner Zeit zu den Vorreitern gehört haben. Denn noch zweihundert Jahre nach ihrer Ankunft in Europa waren Kartoffeln fast ausschließlich in den botanischen Gärten sowie in den Lust- und Ziergärten der Fürstenhöfe zu finden.

 

 

Mit den hübschen weißen, rosa oder lila Blüten schmückten die noblen Frauen ihre Haare. Und da die Kartoffel in der Bibel nicht erwähnt war, unter der Erde wuchs und wie das Hexenkraut aus der Familie der Nachtschattengewächse stammt, konnte sie nur Teufelswerk sein. Von der Kirche ebenfalls verteufelt wegen ihrer angeblich sexuell erregenden Wirkung. Damit teilte sich die Kartoffel aber zu jener Zeit den Ruf mit vielen anderen Lebensmitteln, die selten, teuer oder exotisch waren.

Oberfranken zählte aber zu den Regionen, in denen sich die Kartoffel relativ früh durchsetzte. Um 1650 bauten auch die Grafen von Tettenbach in Selbitz Kartoffeln an, ab 1668 wird Kartoffelanbau auch in Stockenroth und Helmbrechts erwähnt. So steht der Kartoffelanbau zu Beginn des 18. Jahrhunderts in Teilen des damaligen Fürstentums Brandenburg-Bayreuth – ebenso wie in Bamberg – schon in voller Blüte, bevor Friedrich II. (1712-1786) mit dem „Kartoffelbefehl“ den ersten Versuch zur breit angelegten Einführung in Preußen unternahm. Nicht ohne Grund, denn die Kartoffel sollte dazu beitragen, die immer wiederkehrenden Hungersnöte zu bekämpfen. Die Industrialisierung und das starke Bevölkerungswachstum taten ihr Übriges dazu, dass sich die Kartoffel als Grundnahrungsmittel durchsetzte.

 

 

Vielseitig einsetzbare Köstlichkeit

Das Schöne an der Kartoffel ist, dass sie vielseitig zubereitet werden kann. In der oberfränkischen Küche haben sich viele Gerichte erhalten, in denen Kartoffeln entweder in ihrer ursprünglichen Form oder verarbeitet vorkommen.

Das Gericht „Hofer Schnitz“ kam wahrscheinlich schon um die Jahrhundertwende 1799/1800 auf.
Franziska Hanel hat in ihrem Buch „Schnitz, Schwaaß & Schweinebroutn“ (Schnitz, Schwaaß & Schweinebroutn) einige Rezepte dazu zusammengetragen, weil die Zutaten zu dieser oberfränkischen „Minestrone“ je nach Jahreszeit oder den Vorlieben der zu Bekochenden variieren.

Sie zeigt mit dem Wochen-Speiseplan einer Hofer Familie aus Jahr 1920 in ihrem Buch aber auch, wie wichtig Kartoffeln waren:

 

Sonntag
Griena Glees, Schweinebroutn und Sauergraut
(Grüne Klöße, Schweinebraten und Sauerkraut)

Montag
Eigschnittna Glees und Soß‘
(Eingeschnittene Klöße und Soße)

Dienstag
Nudlsuppn und Ball‘nglees und Äpflmus
(Nudelsuppe, Ball‘nklöße und Apfelmus)

Mittwoch
Stampf und saura Eier
(Kartoffelpüree und saure Eier)

Donnerstag
Griena Glees, Blaugraut und Broutn
(Grüne Klöße, Rotkraut und Braten)

Freitag
Wormer Erpflsalot und Fisch
(Warmer Kartoffelsalat und Fisch)

Samstag
Brodsuppm, ganze Erpfl und Bremsgummi
(Brotsuppe, ganze Kartoffeln und einfacher weißer Presssack)

 

Oft standen Kartoffeln in früheren Zeiten nicht nur mittags, sondern auch morgens und abends auf dem Tisch. Nicht nur, weil sie erschwinglich oder selbst gut anzubauen war: Ihr hoher Nährwertgehalt machte sie auch zu einem wichtigen Energielieferanten. Bertram Popp bestätigt: „Die Kartoffel war eine wichtige Nahrungsquelle für die Menschen, aber auch für das Vieh.“ Denn die zu kleinen oder nicht-genießbaren Kartoffeln wurden gekocht und an Schweine und Hühner verfüttert.

 

Die „Schwarzblaue Frankenwälder“

Die Kartoffel ist kein Massenprodukt mehr. Bayern ist zwar nach Niedersachsen noch die zweitwichtigste Erzeugerregion in Deutschland. Aber die Anbaufläche ging seit 1970 um 81 Prozent von 271.000 Hektar auf rund 41.000 Hektar im Jahr 2019 zurück und stagniert seit sechs Jahren. Das hat die Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL) erhoben. Als Hauptanbauregionen nennt die Bayerische Kartoffel GmbH, Initiative der bayerischen Kartoffelerzeuger und Kartoffelvermarkter aller sieben bayerischen Regierungsbezirke, Oberbayern, Niederbayern, Schwaben und Oberpfalz.

Das heißt nicht, dass der Kartoffelanbau und die Kartoffelverarbeitung hier in der Region nicht mehr existieren. Die Firma Popp Kartoffelprodukte in Döhlau, die nach eigenen Angaben 90 Prozent Kartoffeln aus eigenem Anbau für ihre Produkte verarbeitet, ist ein Beispiel dafür. Der Kartoffelhof Harles in Münchberg widmet sich ebenfalls noch dem Kartoffelanbau.

 

 

Eine alte Sorte, die „Schwarzblaue Frankenwälder“, wird dort nicht produziert oder verarbeitet. Sie gehört als mehligkochende, runde Kartoffel mit schwarz-blauer Schale und gelbem Fleisch zu den Raritäten aus vergangenen Tagen. Weil mehligkochende Sorten nicht mehr stark nachgefragt werden und sie vom Blattroll-Virus befallen war, drohte sie zu verschwinden. Seit 2010 steht sie auf der roten Liste der bedrohten Pflanzenarten. Die Initiative „Slow Food“ hat erreicht, dass Experten der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft in Weihenstephan sich der alten Traditionsknolle angenommen haben und im Labor aus dem alten Material inzwischen eine kleine Menge von virusfreien Ablegern der “Schwarzblauen Frankenwälderin” gezüchtet haben. Seit 2014 ist sie als offizieller Passagier in der Arche des guten Geschmacks von Slow Food aufgenommen.

Erhaltungszüchter der alten Kartoffelsorte ist der Förderverein Schwarzblaue Frankenwälder Kartoffel e.V. und kann über Bezugsquellen Auskunft geben. Der Schwerpunkt des Anbaues liegt heute im Bereich um Bad Steben und Lichtenberg.

Das Gasthaus „Adelskammer“ im Bad Stebener Ortsteil Carlsgrün serviert zum Beispiel am 6. Januar eingemachte Heringe und Backstaakäis (Limburger) mit schwarzblauen Kartoffeln, deren Geschmack als kräftig-würzig, robust-erdig und urtümlich beschrieben wird, den man von anderen Kartoffeln nicht kennt. Als Pellkartoffel zu traditionellen Gerichten soll es nichts Besseres geben.

Aber auch die „moderne“ oberfränkische Kartoffel aus dem Frankenwald und dem Fichtelgebirge zeichnet sich durch eine sehr gute Qualität aus. Für welches Gericht verwenden Sie sie am liebsten?

Weiteres Wissenswertes:

  • Das traditionsreiche Carlsgrüner Gasthaus Adelskammer
  • Das Heimatbrot der Münchberger Bäckerei Fikenscher
  • Kontaktdaten des Förderverein Schwarzblaue Frankenwälder Kartoffel e.V., Michael Söll (1. Vorsitzender)
    Burgstall 3, 95131 Schwarzenbach am Wald – Ortsteil Bernstein am Wald, Tel. (0 92 89) 9 70 93 06, schwarz-blaue-kartoffel(at)web.de
  • Der 19. August ist weltweit der „Tag der Kartoffel“, nur in Peru – dem Heimatland der Kartoffel – ist es der 30. Mai.

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Sabine Schaller-John