Die Guerilleros fallen ein. Ihre Taktik: Leerstand besetzen – um ihn neu zu beleben. Ihre erste Okkupation: Das alte Kesselhaus einer früheren Textilfabrik mitten in Helmbrechts. Den großen, hohen Raum mit seinem industriellen Charme, mit seinen Rohren und radgroßen Drehventilen, mannshohen Bedienschränken und einem gewaltigen, klinkerverputzten Brennofen im Zentrum, haben sie in einen Ort der Glückseligkeit verwandelt. Von der Balustrade auf der begehbaren Fläche des Brennofens überblickt man die illuminierte Szenerie. Im gesamten Raum und am Tresen drängen sich die Menschen und der wuchtige Sound der Anlage verwandelt das Kesselhaus wieder in ein Kraftwerk.
Die Besetzung ist geglückt – und sie ist nicht illegal. Die Initiatoren des Helmbrechtser Guerilla-Vereins haben ihre Vorstellungen eines partytauglichen Leerstandmanagements verwirklicht. Seit fünf Jahren organisieren sie verschiedene Aktionen mit DJs, Bands oder Bier-Tasting, alles ehrenamtlich.
Im Kesselhaus, das zwischendurch eine Art Heimstätte geworden war, fanden seither 20 Veranstaltungen statt. Die Location hatte binnen weniger Zeit Kultstatus erreicht. Aber das Kesselhaus war eine Besetzung auf Zeit. Die Auflagen für eine langfristige Nutzung seien zu hoch, sagt Jo Baumann, einer von drei Vorständen des Vereins. „Und eigentlich passt so ein Provisorium auch zu unserer Philosophie. Wir möchten Orte besetzen, die sonst vergessen würden, und sie für einen Moment ins Rampenlicht rücken.“ Flexibel, mobil, unabhängig und immer für eine Überraschung gut, so lautet das Motto der Guerilleros. „Auch wenn uns das Kesselhaus ans Herz gewachsen ist, wir ziehen weiter.“
Seit einem halben Jahr steigen die Partys im ehemaligen Schärwerk der Alten Weberei. Die Idee für die neue Location kam aus dem Rathaus, von Manuel Thieroff, der dort als Gebäudemanager arbeitet. Er bot dem Verein das Stockwerk an, das seit dem Auszug eines Modelabels leer stand. Jetzt ist das „Upper Floor“ die neue Basis der Guerilleros. Der Säulenraum mit seinen meterhohen Sprossenfenstern hat Loftcharakter und bietet Platz für 300 Leute. Doch auch hier wissen die Organisatoren, es ist ein Domizil auf Zeit. „Sobald sich ein neuer Mieter findet, ziehen wir aus“, sagt Baumann.
„Es wäre Frevel, diese Schmuckstücke nicht zu nutzen.“
Jo Baumann
Entstanden ist der Guerilla-Verein eigentlich aus einer Unzufriedenheit heraus. Jo Baumann ist regelmäßiger Besucher der Helmbrechtser Kulturwelten. Und weil das Angebot an Kneipen in Helmbrechts für einen Absacker nach den Veranstaltungen sehr überschaubar ist, haben er und zehn weitere Initiatoren selbst ein Angebot geschaffen. „Uns war klar, wenn wir das nicht selbst in die Hand nehmen, dann wird sich nichts verändern.“ So entstand die Idee, leerstehende Gebäude umzuwidmen.
Auch die Stadt gab ihr OK und so wurde 2015 kurzerhand der Verein gegründet. „Die Initiierung kultureller und sozialer Impulse mit entsprechenden Auswirkungen auf das gesellschaftliche Leben der Stadt“, so steht es offiziell in der Satzung, das ist der Zweck. „Wir möchten Impulse geben, ein bisschen urbanes Flair in die Provinz bringen und verstehen Leerstand auch als Möglichkeit zur Gestaltung“, sagt der 35-jährige.
„Die Resonanz war von Beginn an überwältigend, und sie ist es noch immer. Die Veranstaltungen sind fast alle ausgebucht und viele Helmbrechtser unterstützen uns in verschiedenster Form. Es gibt wieder Orte, wo die Stadt zusammenkommt zum Feiern.“ Mittlerweile zählt der Guerilla-Verein mehr als 80 Mitglieder in allen Altersklassen. Neben den Abenden im Schärwerk organisieren sie auch andere Events, „vielleicht acht über das Jahr verteilt. Wir sind für alles offen, ein festes Programm gibt es nicht, Ideen kommen spontan, oft auch durch Impulse von außen.“
Der Helmbrechtser Guerilla-Verein ist ein gutes Beispiel dafür, was entstehen kann, wenn sich Bürger nicht mit einer Situation zufrieden geben, nicht nur meckern, sondern selbst die Ärmel hochkrempeln und etwas schaffen, wovon am Ende alle profitieren.