Suche
Close this search box.

Moderne Landwirtschaft – wie früher: Weiderinder in Hallerstein

Artgerecht, naturnah, regional – Markus Kießling interpretiert Landwirtschaft wie früher, und trifft damit den Nerv der Zeit. In Hallerstein hält der Ingenieur zusammen mit seiner Frau 70 Weiderinder. Das Fleisch vermarkten sie selbst.

Markus Kießling ist diplomierter Feinwerktechniker und arbeitet als Konstrukteur bei einem Hersteller für Fassadensysteme in der Region. Seine große Leidenschaft ist die Landwirtschaft. Zusammen mit seiner Frau Jana, ebenfalls Ingenieurin, übernimmt er 2003 den elterlichen Hof in Hallerstein bei Schwarzenbach an der Saale. Konventionelle Bewirtschaftung, Milchkühe und Bullenmast in Stallhaltung – der Klassiker zur damaligen Zeit in der Region. „Ich bin auf diesem Hof aufgewachsen, seit jeher damit verbunden und wollte die Landwirtschaft in jedem Fall erhalten, auch für die nachfolgende Generation, unsere drei Kinder“, sagt der 43-Jährige.

Zunächst führen er und seine Frau den Hof unverändert weiter, merken aber schnell, dass das kein Dauerzustand sein kann. „Den Hof langfristig in der damaligen Form weiterzuführen, das hätten wir zeitlich nicht mit unserem Beruf vereinbaren können“, sagt Markus. Und für den Haupterwerb war der Betrieb zu klein. Markus und Jana Kießling stehen vor der Entscheidung, entweder massiv investieren und wachsen, das wollten sie nicht, den Betrieb aufgeben und verpachten oder sich eine Nische suchen. „Wir hängen beide an unserem Beruf. Deshalb haben wir nach einem Weg gesucht, um Beruf und Landwirtschaft miteinander zu vereinbaren und aus dem Gegebenen nach und nach etwas Neues zu entwickeln. Den Hof aufgeben war nie eine Option.“

Ich bin auf diesem Hof aufgewachsen und wollte die Landwirtschaft in jedem Fall erhalten, auch für unsere Kinder. Landwirt sein, das Leben mit der Natur, das ist eine besondere Art zu leben.

Markus Kießling

Zunächst wollen die beiden Alpakas züchten. Sie schauen sich den Markt und einige Beispielbetriebe an, entscheiden sich letztendlich aber für eine andere Richtung. Aus Alpakas werden Luing-Rinder. Inspiriert hat sie ein ortsansässiger Landwirt, der ganzjährig Galloway-Rinder in Mutterkuhhaltung auf einer Weide hält. Eine extensive und ganzjährige Weidehaltung passt gut zur Hof- und Lebenssituation und zu den Vorstellungen von Markus und Jana.

Der Bauernhof ist ein Familienprojekt: Jana und Markus Kießling mit ihren Kindern Selina (10 Jahre), Tamara (7) und Laura (4, auf Papas Schultern)

Veredelung statt Massenproduktion

Sie entwickeln ein Konzept, absolvieren parallel zum Beruf die Ausbildung zum Landwirt und starten das Projekt mit zunächst drei Tieren. Für die Rasse Luing entscheiden sie sich, weil die Tiere sehr robust sind und die rauen Winter im Fichtelgebirge gut verstecken können. Die aus Schottland stammende Rasse ist eine Kreuzung aus Beef Shorthorn und dem Highland Cattle, die in Deutschland wenig verbreitet ist. Ein Alleinstellungsmerkmal für die Kießlings. Sich abheben und Qualität produzieren, das war von Anfang an das Credo. „Wir wollten und mussten uns von der Massenware aus dem Supermarkt unterscheiden“, sagt Markus. Mit Discounter-Preisen wollen sie nicht konkurrieren.

Das feinmarmorierte Fleisch der Luing-Rinder ist reich an Omega-3-Fettsäuren und komme dem von Wild nahe. Die natürlich Umgebung, viel Bewegung und die Qualität des Futters, das sei der Garant für ein gesundes Tier und damit für ein qualitativ hochwertiges Fleisch, sagt Markus. „Wir wollen keine Mästung mit Getreide und Soja für ein schnelles Wachstum. Unsere Tiere bekommen im Sommer frischer Gras und im Winter Heu und Silage. Wir verzichten auch auf mineralischen Dünger auf unseren Weiden.“

Selbstvermarktung und Selbstbestimmung

Zunächst war geplant, das Fleisch über regionale Metzger zu vermarkten. „Da ging es dann aber sehr schnell um die Themen Lieferfähigkeit und Menge, Mengen die wir damals mit unserer kleinen Herde nicht kontinuierlich hätten liefern können.“

Notgedrungen, aber letztendlich auch aus Überzeugung und um mehr Wertschöpfung im eigenen Betrieb zu halten, entscheiden sie sich für den vor allem am Anfang sehr steinigen Weg der Selbstvermarktung. „Das ist ein mühsamer und langwieriger Weg, weil wir uns die komplette Vertriebsstruktur erst aufbauen mussten. Das ganze Projekt ist ein Prozess, bei dem wir jeden Tag dazulernen, nicht nur in der Vermarktung, sondern auch in der Arbeit mit den Tieren und auf der Weide.“

Natürlich haben wir in vielen Dingen mittlerweile Routine. Aber es warten dennoch ständig neue Herausforderungen auf uns.

Markus Kießling

Nach zwei Jahren können sie das erste Mal ein Tier schlachten. Geschlachtet wird auf Termin im Schlachthof in Helmbrechts, keine 20 Kilometer von Hallerstein entfernt. „Uns sind kurze Entfernungen wichtig, damit das Tier so wenig Stress wie möglich ausgesetzt ist. Und wir übernehmen den Transport selbst mit unserem eigenen Anhänger, weil wir den Ablauf so selbst bestimmen und dem Tier die notwendige Zeit geben können, die es braucht. Verarbeitet und verkaufsfertig gemacht wird das Fleisch ebenfalls regional, bei einem Metzger in Konradsreuth.

Das Fleisch verkaufen sie in Paketen zu je zehn Kilogramm, zunächst nur ab Hof. 140 Euro kostet ein Paket, das verschiedene Sorten Fleisch, von der Flachrippe, verschiedener Bratenstücke bis hin zum T-Bonesteak oder Rostbeef enthält.  Die 10-Kilo-Pakete seien logistisch die beste Lösung, sagt Kießling. Kunden, denen zehn Kilogramm Fleisch zu viel erscheinen oder die nicht über die notwendige Lagerkapazität verfügen, rät er, sich mit Freunden, Nachbarn oder Bekannten zusammen zu tun.

Der Schlachttermin wird erst dann vereinbart, wenn ein ganzes Tier vorbestellt ist. Die Kunden müssen deshalb auch Wartezeiten von teils mehreren Wochen in Kauf nehmen. „Das gehört zu unserer Philosophie und unsere Kunden respektieren das und stellen sich entsprechend darauf ein. Wer unser Fleisch einmal probiert hat, nimmt die Wartezeit in Kauf.“ Mittlerweile sind es deutlich über 300 Kunden. Sie schätzen nicht nur die Qualität des Fleisches, sondern auch die Art und Weise, wie Markus und Jana die Dinge angehen. „Nachhaltige Landwirtschaft ist beim Verbraucher wieder mehr gefragt. Vor allem die junge Generation ist kritisch und möchte wissen, wie die Tiere gehalten werden und woher das Fleisch kommt. Viele unserer Kunden merken, dass die industrielle Lebensmittelerzeugung auch Schattenseiten hat. Das ist unsere Chance.“

Wirtschaften im Einklang mit der Natur                   

Ihr Projekt ist ein bewusster Gegenentwurf zur industriellen Landwirtschaft und wirkt fast anachronistisch in der heutigen Zeit. „Wir machen Landwirtschaft wie früher“, sagt Markus, und ist überzeugt, dass das die nachhaltigste Form ist. „Heute haben die meisten Konsumenten keinen direkten Kontakt mehr zu Landwirtschaft. Die Produktion ist sehr anonym geworden.“ Und die Landwirtschaft selbst bewege sich in seinen Augen immer weiter weg von ihrer eigentlichen Bestimmung und ihren Wurzeln, nämliche regionale Versorgung mit gesunden Lebensmitteln. Den Takt gebe der Markt vor, und der sei global und hart. Der Lebensmittelhandel werde dominiert von großen Spielern, die die Preise diktierten. „In den Ausbildungsstätten werden die künftigen Landwirte auf Wachstum und Masse getrimmt und die klassischen Investitions- und Förderungsprogramme sind auf industrielle Produktion ausgerichtet. Das ist eine Entwicklung, die zwangsläufig an Grenzen stoßen muss. Wir haben ein anderes Verständnis für Natur und Umwelt und möchten unseren Anteil für eine nachhaltige und artgerechte Landwirtschaft leisten.“

Für das moderne System Landwirtschaft sind wir Nostalgiker.

Markus Kießling

Mittlerweile ist die Herde auf 70 Tiere angewachsen. „Das ist noch gut zu überblicken“, sagt Markus. Wir brauchen eine gewisse Größe, um ganzjährig lieferfähig zu sein. Neben der eigenen Fläche rund um den Hof haben Markus und Jana weitere Flächen gepachtet. Seit 2018 befindet sich der Betrieb in der Umstellungsphase zu einem Biohof. Das Fleisch verkaufen sie nun auch auf regionalen Wochenmärkten und über einen eigenen Onlineshop, in dem sie nicht nur ihre eigenen Produkte anbieten, sondern auch die von regionalen Partnern.

Der Bauernhof ist ein Familienprojekt, das neben dem Beruf und der fünfköpfigen Familie gut koordiniert sein will. „Wir verreisen selten, weil wir hier gebunden sind und die Arbeit den Alltag bestimmt. Aber wir ziehen alle an einem Strang und sind mit Leidenschaft dabei. Sonst funktioniert das nicht.“ Auch Markus´ Eltern Franz (80 Jahre) und Erna (71 Jahre), die den Bauernhof jahrzehntelang im Vollerwerb bewirtschaftet haben, leben mit auf dem Hof und unterstützen.

„Dieses Projekt gibt uns viel. Unsere Kinder wachsen in einem sehr inspirierenden Umfeld auf und lernen viel. Das ist das Wichtigste und damit sind wir sehr glücklich.“ | www.hallerstein-luing.de

genussladen_logo

Regio-Markt Weiderinder

Regio-Markt Weiderinder
Familie Kießling
Hallerstein 36
95126 Schwarzenbach an der Saale
09284 – 9499676
info@regio-markt.shop
www.hallerstein-luing.de
www.genussladen.shop
Öffnungszeiten: siehe Webseite

3 Kommentare

  • Ein Umdenken in der Landwirtschaft, generell in der Erzeugung von Lebensmitteln, ist dringend notwendig. Diesen Weg müssen Erzeuger und Kosumenten aber gemeinsam gehen. Es reicht nicht, und es ist auch nicht fair, als Konsument artgerechte Haltung und Naturschutz zu fordern, beim Einkaufen aber doch lieber auf die Lockangebote der Discounter zu setzen. Wie es im Artikel steht, der Markt gibt den Takt vor. Ich befürchte, dass Aldi, Lidl, Kaufland & Co. den Biosektor in wenigen Jahren zur Kampfzone entwickeln werden, in der es wie in der konventionellen Landwirtschaft nur noch um Preise gehen wird. Der Konsument hat die Macht. Viel Erfolg für die Familie Kießling.

    Antworten
  • Ein sehr guter Bericht über den Hof von Markus und Jana Kießling. Viel Mut und Idealismus gehören bestimmt dazu, in der heutigen Zeit solche Visionen zu haben. Ich finde das toll. Und Ihr Bericht trägt dazu bei, neugierig auf diesen Hof zu werden und auch ihn bekannter zu machen.Viel Erfolg wünsche ich der Familie Kießling.

    Antworten
    • Hallo Maria, in der Tat gehört eine große Portion Idealismus dazu. Die Rahmenbedingungen sind nicht gerade zu unserem Gunsten. Trotzdem – um unsere Natur als Lebensgrundlage zu erhalten, ist dringend ein Umdenken in der Landbewirtschaftung und Tierhaltung notwendig. Viele Menschen sind von unserem Weg und der Qualität der Produkte begeistert und empfehlen uns weiter. Das stärkt uns den Rücken. Vielen Dank für die guten Wünsche!

      Antworten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Nach oben
Jörg Raithel

Jörg Raithel

Jörg Raithel, Jahrgang 1982, ist Elektrotechniker, Diplom-Sozialpadägoge, Marketingmanager (MBA) und Landwirt. Bis 2015 war er Geschäftsführer des Regionalmarketingvereins Wirtschaftsregion Hochfranken in Hof. Er lebt nach Stationen im In- und Ausland in seiner Heimatstadt Münchberg und schreibt freiberuflich für verschiedene Print- und Onlinemedien über die Themen regionale Wirtschaft und Tourismus. | info@6sensemedia.de