Schon auf dem Weg nach Windischengrün bei Schauenstein habe ich mir die Frage gestellt: „Warum erschafft man einen Ort der Musik und Inspiration so tief im Hofer Land, am Rande des Frankenwalds?“ Doch schon bei meiner Ankunft, als die Familie Rieß mich begrüßte, bekam ich eine erste Antwort. Denn der Klanghof Oberfranken ist … zum einen tatsächlich ein Hof und dann noch ein ganz besonderer Hof! Das über 170 Jahre alte Anwesen liegt im Schauensteiner Ortsteil Windischengrün. Ein altes Bauernhaus, Scheunen, drumherum Felder und mittendrin – die Musik.
Aus Schauenstein nach Heidelberg und zurück
Eva wurde in Kulmbach geboren, wuchs aber in Schauenstein auf. Sie lebte eine Weile in Heidelberg, wo sie Christian traf. Schnell war dem Paar klar, dass nicht nur ihre Liebe sie eint, sondern vor allem auch die Liebe zur Musik. Christian, von Beruf eigentlich Heizungsbauer im Sanitärbereich, spielte schon lange in einer Band – damals Schlagzeug. Eva singt, seitdem sie denken kann. Doch im Gesangsstudium musste sie schnell merken, dass ihr der Lehrplan zu starr ist, sie sich nicht genug entfalten kann. Schon da war für sie klar: Schubladen, da passt sie nicht rein. Und so widmete sie sich der freien Musik. Sie machte nebenbei noch eine Ausbildung zur Fußpflegerin, „was zum Geld verdienen eben“.
Das Hofer Land: ein Ort zur Verwirklichung von Träumen
Doch ihr Leben war immer mindestens zur Hälfte die Musik. Das Paar entwickelte sich auch musikalisch gemeinsam, denn auch bei Christian wurden die Buchungen immer mehr und er kam an den Punkt, an dem er eine Entscheidung treffen musste: Handwerk oder Musik? Die Antwort fiel den beiden nicht schwer: Sie wollten sich voll der Musik widmen und ein freies Musikprojekt ins Leben rufen; ihr eigenes Ding machen. In Heidelberg wäre das jedoch niemals möglich gewesen „Um als Musiker in Heidelberg zu überleben, musst Du eigentlich schon Geld mitbringen“, so Eva. Die Lebenshaltungskosten sind so hoch, da kommt man als freier Künstler kaum hin. Und so zogen die beiden ins Hofer Land – in Evas Heimat. In die Region, in der Wohnraum und das Leben bezahlbar sind.
Zuerst war es eine kleine Bude in Selbitz. Ein Raum, in dem sie Musikunterricht gaben, Stücke neu interpretierten und selbst komponierten. Schnell wurde es den beiden zu eng und sie suchten über 1,5 Jahre nach dem Ort für ihren Traum. Sie fanden ihn auf einem Bauernhaus von 1850 in Windischengrün. Der Ort gab ihnen die Möglichkeit, frei zu leben, zu arbeiten, zu wohnen und ihre drei Kinder aufwachsen zu lassen.
„Unsere Kinder gehen in keinen Kindergarten, wir können sie hier frei herumtoben lassen. Es ist einfach wunderbar“, schwärmt Eva.
Raus aus dem Hamsterrad, raus aus 9 to 5 – rein in die Freiheit und ins individuelle Leben: hier im Hofer Land ist das möglich.
Sie erschufen sich ihre ganz eigene Oase. Der kleine Dreiseithof ist wildromantisch, inspirierend und vor allem … besonders.
Der Klanghof Oberfranken – viel mehr als eine Musikschule
„Ich hatte Euch als Musikschule im Sinn – was genau ist der Klanghof?“, frage ich die beiden. Eva und Christian lachen. „Der Unterricht ist nur ein kleiner Teil unserer Arbeit. Bei uns gibt es: Musik! Live-Konzerte, Musicals, Seminare, Tonaufnahmen … und eben auch Musikunterricht.“
2016 haben sie den Hof übernommen, 2019 waren sie vorerst an ihrem Ziel angekommen: ihre Konzerte waren mit im Schnitt 70 Zuhörern gut besucht, die Musikschule hatte ihren festen Schülerstamm. Eva und Christian spielten ihre eigenen Kompositionen, hatten oft auch internationale Gäste. Sie spielten sogar ein Musical zu Dr. Georg Curio, dem Leibarzt Martin Luthers, geboren in Schauenstein. Sie hatten alles erreicht: Sie lebten ihren Traum.
Die Pandemie musikalisch verarbeiten: „Die Regenelfe“
„Mit Corona kam für uns ein Berufsverbot ohne finanziellen Ausgleich. Wir waren wieder bei null“, so Eva. Konzerte: verboten. Musikunterricht: nur online möglich; aber wenig sinnvoll. Seminare: keine Chance. Mit Trauerfeiern hielt sich die Familie etwas über Wasser. Die Harfe durfte sie spielen, später auch dazu singen. Das hat sie finanziell über die schwere Zeit gebracht.
So mussten sie wieder ganz von vorne beginnen. Doch die Zeit der Pandemie hat Familie Reiß dennoch gut genutzt. Sie haben eine neue CD aufgenommen, die „Regenelfe“. Diese ist auch als Bühnenstück gedacht.
„Die Regenelfe ist eine Art Hommage an alle Musiker in der Pandemie, die im Regen stehen gelassen wurden“, erzählt Eva.
Hört man in das Album rein, versteht man auch, wie das Paar die Musik lebt. Versteht. Interpretiert.
Musik, die in keine Schublade passt
Die beiden fühlen sich in der „alten Musik“ zu Hause. Die Musik, die es vor den klassischen Komponisten wie Bach gab. Aber „alte Musik“ als Schublade? Nicht für Eva und Christian. Die beiden passen in keine Schublade. Ihre Musik ist mal klassisch, mal modern. Mal jazzig, dann wieder eher folkig. Es gab auch schon Konzerte, in denen Stevie Wonder, das Dschungelbuch und Frank Sinatra vorkamen. Neu komponiert, neu angeordnet.
Die Familie Reiß muss man hören, erleben. Wir reden auch über Kinderlieder. „Furchtbar!“, findet Eva. Die Geschichten sind so schön, aber die Melodien? Als Mama muss ich ihr zustimmen. Es gibt Lieder, die sind für erwachsene Ohren nur schwer zu ertragen. Und so haben Eva und Christian auch mal Kinderlieder auseinandergenommen und mit den bekannten Melodien neu aufgenommen. Ich bin begeistert und kaufe den beiden eine CD ab. Ich bin gespannt, wie meine Kinder diese Musik finden. Auf dem Heimweg im Auto höre ich sie dann und verstehe auf einmal, was Eva mir vorher theoretisch versucht hat zu erklären: Melodisch aufgearbeitet, mit Evas Gesang unterlegt; man kennt jede Melodie und doch klingen die Lieder anders. Besonders. Ich verstehe auf einmal, was Eva meint.
Das Gleiche hat das Paar übrigens auch schon mit Wintermusik gemacht oder mit alten Volksliedern. Wer neugierig ist, der kann sich auf YouTube ein paar Kostproben anhören und die CDs auch am Klanghof kaufen.
Musikalische Autodidakten
Das klingt alles sehr vielfältig, sehr breit. Doch welche Instrumente spielen die beiden eigentlich? Eva singt, begleitet sich selbst auf der Harfe und der Gitarre. Außerdem hat sie eine große Affinität zu Blockflöten aller Art. Blockflöten? Wer dabei an den Adventsauftritt in der 3. Klasse denkt, bei dem Oma Tränen in den Augen hat, während man selbst das arme Instrument malträtiert hat, der irrt. „Die Blockflöte ist ein ganz wunderbares Instrument und zu Unrecht völlig unterschätzt.“ Was eine Blockflöte alles kann – auch das kann man auf dem Klanghof Oberfranken erleben und vor allem hören.
Christian ist Schlagzeuger, heute spielt er mehr die Percussion und Landtrommeln aller Art.
Beigebracht haben die Beiden sich das selbst. Aus purer Begeisterung und Liebe zur Musik.
Wie eine Abenteuerreise: Kindern Lust auf Musik machen
„Ich hatte Euch als Musikschule im Sinn – was genau ist der Klanghof?“, frage ich die beiden. Eva und Christian lachen. „Der Unterricht ist nur ein kleiner Teil unserer Arbeit. Bei uns gibt es: Musik! Live-Konzerte, Musicals, Seminare, Tonaufnahmen … und eben auch Musikunterricht.“
Ihre Schülerinnen und Schüler sollen die Musik lieben lernen. Ob musikalische Frühförderung, Gesangsunterricht, Klavier, Harfe oder Flöte: neben des Erlernen des Instruments steht bei Eva und Christian das eigene Gefühl zum Klang ganz vorne. Manchmal braucht es nur einen Schubser in die richtige Richtung, um sich selbst weiterentwickeln zu können. Das geht nur, wenn man sich im Unterricht Zeit nimmt und sich mehr als Mentor oder Helfer sieht – nicht als Kursleiter.
Geben sie Unterricht, so sehen sie sich nicht als Lehrer.
Christian möchte „Appetit machen, sich auf eine Abenteuerreise zu begeben.“
Wenn man die Technik des Instruments beherrscht, muss es ja weitergehen. „Unsere Schüler sollen Lust bekommen, mehr zu entdecken.“ Damit das gelingt, dürfen die Schüler selbst entscheiden, was gespielt wird. Will jemand ein bestimmtes Stück lernen, wird das Lied in den Unterricht aufgenommen.
Live-Musik: ganz ohne Bratwurst
Der Klanghof Oberfranken ist ein Erlebnis für sich. Die Bühne ist in der alten Scheune, ausgeleuchtet und mit Stühlen und Sofas bestückt. Ein gemütlicher und zugleich rustikaler Ort. Auch in der Scheune: ein alter Mähdrescher.
Weiter hinten ist ein Open Air Gelände. Die Bühne ist etwas erhöht und wurde aus 170 Jahre alten Dielen des Hofes zusammengebaut. „Im Sommer sitzen die Leute hier auf Decken und Kissen. Es entsteht eine unfassbare Atmosphäre“, schwärmt Eva.
Ich frage die beiden, ob sie auch den Eindruck haben, dass die Leute nach zwei Jahren Pandemie wieder Sehnsucht nach Live-Musik hätten. So ganz klar können sie die Frage nicht beantworten.
„Ich glaube, die Menschen sehnen sich eher nach Events als nur nach Musik. Es ist die Kombination aus Bratwurst und Musik, die die Biergärten und Konzerträume wieder füllt. Wir bieten hier „nur Musik“ – ganz ohne Bratwurst. Wer zu uns in den Klanghof Oberfranken kommt, der will unsere Musik hören und unsere Show sehen.“
Der Klanghof Oberfranken: eine Besonderheit im Hofer Land
Auf dem halbstündigen Heimweg sitze ich im Auto und freue mich, dass es im Hofer Land so ein Unikat gibt. Einen Ort, an dem Musik gelebt und neu interpretiert wird. Einen Ort, an dem Menschen Musik lernen und erleben können. Ich bin auf die beiden CDs gespannt. Zuerst höre ich die Kinderlieder und dann die „Regenelfe“. Es ist das Gesamtkunstwerk: Evas und Christians Blick auf die Welt, der Klanghof an sich und natürlich: ihre Liebe zur Musik.
Zu Hause angekommen weiß ich: Ich möchte die beiden in jedem Fall wieder treffen und live hören.
Wer den Klanghof Oberfranken erleben möchte, findet auf der Homepage die aktuellen Termine.
Musik ist ein fester Bestandteil des Hofer Landes:
#meinstadtlandhof: 10 Fragen an Waldschrat-Legende Harry Tröger
Perle für Musikliebhaber: Internationaler Workshop „Alte Musik in Hof“
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IN.DIE.musik // Open Air Festival in Hof