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Ein Dachboden, eine Scheune, eine Turnhalle: Streifzug durch die Hofer Subkultur

Was haben Stadt und Landkreis Hof mit Manchester gemeinsam? Beide waren früher einmal Zentren der Industrialisierung. Beide haben erfolgreich einen schwierigen Strukturwandel hinter sich. Beide haben sie eine sehr quirlige freie Kultur- und Musikszene, die sich sehen lassen kann. Vom Musikfestival mit rund 2.000 Besuchern über Metalkonzerte im Sportheim, von Punkrock-Gigs in Proberäumen, Songwriter-Shows im kleinen Kino, von der Guerilla-Pop-Up-Kneipe bis zur Fabrikhalle, die mit viel Eigeninitiative zum Musikzentrum umgebaut wird. Die Region Hof – das Manchester Bayerns? Das mag vielleicht fußballerisch nicht der Fall sein, aus (sub-)kultureller Sicht ist das aber nicht so weit hergeholt. Wir haben uns auf Spurensuche durch die alternative Musikszene im Hofer Land begeben. Unsere Reise führte uns auf einen Dachboden, in eine Turnhalle und eine Scheune.

Station #1 DER DACHBODEN

Erik Mehlsen ist viel herumgekommen. Der kanadische Vollblutmusiker ist regelmäßig auf Tour, in den Vereinigten Staaten, in Großbritannien, Europa. Gestern hatte er einen Auftritt in München, morgen in Dresden. Jetzt sitzt er aber ganz entspannt in Sandra Volkmanns Wohnzimmer, irgendwo in Hof in einer gemütlich eingerichteten Altbauwohnung aus der Gründerzeit. Er trinkt Kaffee und lässt sich ein Stück Himbeersahnetorte schmecken. „Ich habe gefühlt schon in Tausend Bars und Clubs gespielt, auf einem Dachboden aber noch nie.“

Was für Mehlsen Premiere ist, ist für die Gastgeberin bereits Routine. Seit mehr als fünf Jahren organisiert sie auf dem Dachboden, zwei Stockwerke über ihrer Wohnung, Konzerte. Der Kanadier wird mit seiner Alternativpop-Combo Del Suelo das 30. Konzert an diesem ungewöhnlichen Ort bestreiten.

„Angefangen hat das eigentlich alles, weil ich als alleinerziehende Mutter abends nicht weg und auf Konzerte gehen konnte. Da habe ich mir gedacht, wenn ich nicht zu ihnen gehen kann, müssen die Künstler eben zu mir kommen“, erzählt Volkmann und lacht. In Wirklichkeit geht es ihr um die Atmosphäre, die Begegnung mit Menschen, um Wertschätzung. „Musik verbindet“.

Das Konzept ist einfach. Die Künstler spielen auf Hut. Jeder gibt so viel er kann und möchte. Aufwendige Veranstaltungstechnik braucht es nicht, denn mit dem ersten Ton wird es mucksmäuschenstill auf dem mit Lichterketten dekorierten Dachboden. Für das leibliche Wohl sorgt die Gastgeberin selbst. Sandra Volkmann kocht, backt und wärmt Glühwein auf. Wer will, schmeißt etwas in die Spardose. „Von Freunden für Freunde“, lautet ihr Motto. Sie lädt Freunde ein und die bringen wiederum Freunde mit – zwischen 40 und 50 Musikliebhaber verschlägt es auf diese Weise bis zu acht Mal im Jahr auf den Dachboden. Und wer einmal da war, der kommt wieder.

Das gilt auch für die Musiker. „Die Ruhe, die einzigartige Location, die familiäre Atmosphäre, die Herzlichkeit. Das hier werde ich nie vergessen“, schwärmt Erik Mehlsen. Sandra Volkmann lacht.

Station #2 DIE SCHEUNE

Karl Süß ist seit Jahrzehnten Veranstaltungstechniker. Er kennt viele Musiker in der Region, hat vom Jugendfestival bis zum Bierzelt, von Metal bis Jazz, schon alle möglichen Künstler mit dem richtigen Ton ausgestattet. Wenige Tage vor seinem fünfzigsten Geburtstag beginnt er die Scheune im Hinterhof seines Hauses in Schwarzenbach an der Saale für die bevorstehende Feier auszuräumen. Da kommt ihm die Idee: Diese Scheune soll in Zukunft das kulturelle Leben in der Stadt und Region bereichern. Gesagt, getan: Die Bühne „Hinterhalt“ ist geboren.

Seit mittlerweile fünf Jahren bietet der „Hinterhalt“ zwischen Mai und August fünf bis sechs Mal rund 70 Personen bei den Auftritten ausgesuchter Künstler Platz. Der Garten des privaten Wohnhauses dient ihnen als Foyer. Gemeinsam mit seiner Frau und einem Freund kümmert er sich an den Abenden darum, dass es den Besuchern an nichts fehlt. Getränke, Essen, Ton, Licht – da muss schon an einiges gedacht werden. Der Aufwand ist beachtlich. „Aber wir machen das aus Liebhaberei und für die Region, verdient ist damit nix.“ Die Eintrittsgelder gehen fast komplett an die Künstler, mit dem Rest werden GEMA und andere Nebenkosten finanziert.

Dafür darf Süß die Künstler selbst aussuchen: „Bei mir spielen vor allem Leute, die als Person gut hierhin passen. Die müssen sich schon auf die Heimelichkeit und das rustikale Flair einlassen.“ Er lacht, wenn er an einige Szenen im „Hinterhalt“ denkt. „Ich mag die Spontaneität unserer Abende.“ Das Publikum augenscheinlich auch. Fast alle Veranstaltungen sind sehr gut besucht, der Schwerpunkt liegt auf Musikkabarett, doch auch für Anderes sind Süß und sein Team zu haben. Seien es die national bekannten Willy und Amy Warning oder Sängerin Anne Sommermann und ihr Gitarrist Matthias Strößner aus dem Landkreis Hof: Die Qualität der Künstler überzeugt die Gäste. Und so stehen zum Beispiel mit Sänger Matthias Kellner, Kabarettist Josef Brustmann und Süß‘ alten Freunden von Waldschrat auch 2019 wieder einige Hochkaräter auf dem Programm.

Station #3 DIE TURNHALLE

Die Liebe zum Frankenwald kann unter die Haut gehen. Bei Florian Tomaschek und Sebastian Kaske ist das zumindest der Fall: Als Hommage an die legendäre US-Metalband Pantera und ihre eigene Heimatstadt haben sich beide den Schriftzug CFN, „Cowboys from Naila”, tätowieren lassen. CFN, so heißt auch das Metal-Festival, das sie seit 2016 einmal im Jahr in der Turnhalle der Freien Turnerschaft Naila auf die Beine stellen und das seitdem immer weitere Kreise zieht. Grund dafür sind einerseits die familiäre Atmosphäre und das Flair der Veranstaltung. Andererseits machen nicht zuletzt die Szenegrößen, die aus ganz Europa und dieses Jahr erstmalig auch aus den Vereinigten Staaten in das Frankenwaldstädtchen kommen, das Festival zu etwas Besonderem. Wenn Tomaschek und Kaske wollten, könnte das Festival beständig weiterwachsen. Wollen sie aber nicht. „Das CFN-Fest soll seine Atmosphäre und den Do-It-Yourself-Style nicht verlieren“, sagen beide unisono. Ihnen geht es um die Sache, um die Musik.

Jedes Jahr fahren sie auf Dutzende Festivals, weil diese aber in einem Umkreis von 150 Kilometern eher Mangelware gewesen sind, beschlossen beide kurzerhand, selbst eines zu organisieren. „Die Hofer Metalszene mit zahlreichen parallel existierenden Bands war zwischenzeitlich etwas eingeschlafen“, erklärt Tomaschek. Mittlerweile ist die Szene wieder so vielfältig und lebendig wie früher. Die Nailaer Cowboys haben daran ebenso ihren Anteil wie treue Musikfans und weitere Veranstalter und Macher, zum Beispiel vom Wiesla Rockclub in Hof.

Für die beiden geht es auch um Lokalpatriotismus – wie schon der Name des Festivals vermuten lässt: Hier sind die Freunde, auf die sie zählen können, die mit anpacken, die die Security stellen, an der Kasse sitzen oder hinter dem Bierstand stehen. Die Flyer macht ein Selbitzer, die Grafik liefert der ortsansässige Tätowierer, das seit Jahren bestehende Motiv ist der „Wilde Mann” aus Nailas Stadtwappen. „Für die Bands ist es natürlich auch oft ein ziemlicher Kontrast zu den Städten und Locations, die sie auf einer Tour sonst so bespielen. Viele waren im ersten Moment bestimmt etwas eingeschüchtert und gespannt, was sie denn hier im tiefen Frankenwald erwartet“, sagt Kaske. Am Ende aber, da seien alle total glücklich. Und außerdem, ergänzt Tomaschek: „Was ist schon die sonst konzertübliche Industriebockwurst auf Pappe gegen unsere Landmetzger-Bratwürste in der Semmel?“

Mitte März ist es dann wieder soweit: Hunderte Metalfans pilgern dann in den Frankenwald. Zwischen vielen Großstäten ziert das Frankenwaldstädtchen Naila die Tourpläne internationaler Bands. Und am Ende liegen sich Fans und Künstler in den Armen und feiern sich und das Leben.

2 Kommentare

  • Hallo,

    das klingt super interessant. Darf ich den nächsten Termin und Ort erfahren um auch schöne Musik zu hören in gemütlicher Runde?

    Herzliche Grüße
    Manuela

    Antworten
    • Hallo Manuela, die Konzerttermine werden eigentlich via Mundpropaganda verbreitet. Bei Interesse darf man sich aber gerne auch via Facebook oder Mail (sandravolkmann@gmx.de) bei der Gastgeberin melden.

      Antworten

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Pascal Bächer & Patrick Leitl