Als ich an diesem Nachmittag das Kreativ Atelier von Marylin Albert-Legniti in Tauperlitz betrete, dauert es keine fünf Minuten, bis mir klar wird, warum die ehemalige Puppenklinik Tauperlitz etwas ganz Besonderes ist. Zwischen Stoffproben, Werkzeugen und sorgfältig sortierten Ersatzteilen offenbart sich mir schon bei der Begrüßung Marylins Handwerk – ein Handwerk, das man nur noch selten findet. Aber fangen wir von vorne an.
Erbin der Puppenklinik Tauperlitz
Ich besuche Marylin, weil sie die Puppenklinik Tauperlitz vor rund eineinviertel Jahren von ihren Vorgängern, dem Ehepaar Gerhard und Heidi Löhner, übernommen hat. Und damit eine wertvolle Anlaufstelle für die Menschen im Hofer Land bewahrt. Das Paar Löhner führte die Puppenklinik vier Jahrzehnte lang mit viel Hingabe. Als sie sich zur Ruhe setzen wollen, fragen sie Marylin – die sie schon von Kindesbeinen an kennen – ob sie die Werkstatt übernehmen wolle. Und die Realschullehrerin sagt zu. Denn Aufgaben wie diese spiegeln genau die Leidenschaft der Kunst- und Werklehrerin wider.
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Jede Woche kommen die Löhners deshalb in der ersten Zeit zu ihr, zeigen ihr Techniken, erklären Materialien, helfen bei den ersten Reparaturen. Viel von ihrem heutigen Können besteht aus der wertvollen Erfahrung des Tauperlitzer Paares. „Außerdem haben sie mir die vielen Materialien vermacht, die sie sonst hätten wegschmeißen müssen. Das wollte ich auf jeden Fall verhindern“, lächelt sie.


Ein Handwerk, das Feinmotorik und Geduld erfordert
Marylin spricht bei unserem Rundgang voller Liebe über ihre Patienten. „Schau mal, der Arme…“, beginnt sie ihren Satz und zeigt mir dann ein stark mitgenommenes Kuscheltier: Einen Bären, dessen Stoff von Jahren der Nähe und des Tragens ganz dünn geworden ist. Für ihn sucht sie gerade das farblich passende Fellstück, um ihn zu retten. So kann der Teddy seine Identität behalten. Genau das ist der Kern ihrer Arbeit: geliebte Dinge möglichst authentisch bewahren.
Während unseres Gesprächs erfahre ich viel über die verschiedenen Reparaturtechniken. Besonders faszinierend sind die alten Schlafaugenmechanismen in Puppenköpfen. Ein winziges Gewicht, ein Metallsteg, ein Hauch Mechanik – und schon öffnen oder schließen sich die Augen. Wenn etwas kaputt geht, muss man von unten durch den Hals des Puppenkörpers arbeiten. Eine Millimeterarbeit, die viel Geduld erfordert.
Die 50-Jährige zeigt mir Zelluloid-Puppen, deren Material inzwischen so brüchig ist, dass es sich fast wie Eierschale anfühlt. Auch hier hat sie von den Löhners gelernt, wie man mit diesem alten Werkstoff umgeht. Techniken, die aussterben würden, gäbe es nicht Menschen wie Marylin, die das wertvolle Wissen um dieses besondere Handwerk weitertragen.
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Das Besondere: Die Geschichten hinter den Stücken
Während Marylin erzählt, merke ich immer wieder, dass sie die in Auftrag gegebenen Stücke nicht nur als Objekte sieht. Viele Menschen bringen ihr Dinge, die sie seit ihrer Kindheit besitzen. Ein Stofftier, das jede Lebensphase begleitet hat. Eine Puppe, die 70 Jahre alt ist. Ein Kinderbuch der Großmutter. An fast jedem Auftrag hängt eine Lebensgeschichte – und die nimmt sie sich wirklich zu Herzen.
Eine Geschichte bleibt ihr besonders im Gedächtnis: „Ein Mann brachte seinen abgenutzten blauen Hasen zur Rettung vorbei. Der war total abgeknuddelt. Als er ihn dann repariert wieder abgeholt hat, hat er gestrahlt wie ein Kind. Ein erwachsener Mann! Das war so cool“, lächelt sie. Genau solche Momente geben Marylin das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun. „Die Freude der Leute ist eigentlich viel wertvoller als die Bezahlung.“
Und es stimmt: Wer einmal in ihren Arbeitsraum kommt, spürt sofort, dass hier nicht einfach nur repariert wird. Hier werden ganze Lebensgeschichten bewahrt.
Spielzeugreparatur, Buchbindetechniken, Puppenklinik: Was Marylin heute alles anbietet
Die Puppenklinik Tauperlitz ist zudem längst nicht mehr „nur“ eine Puppenklinik. Marylin hat das Angebot erweitert, und zwar um Bereiche, die perfekt zu ihrem Hintergrund als Deutsch-, Werk- und Kunstlehrerin passen. „Ich möchte gerne, dass die Leute wissen, dass das hier inzwischen viel mehr ist als eine Puppenwerkstatt. Ich repariere Spielzeuge aller Art, Stofftiere, aber auch die Buchbinderei fasziniert mich“, erklärt sie.
Dabei ginge es ihr nicht nur darum, Büchern neues Leben einzuhauchen, sondern auch darum, selbst welche zu erschaffen. „Buchbinderei war vor wenigen Jahren sogar noch im Realschullehrplan“, erzählt die Lehrerin. Diese Kunst, dieses spezielle Wissen weiterzugeben, vermisst sie ein wenig. Darum hat sie inzwischen auch ein paar Ideen und Wünsche entwickelt.


Mehr als nur Reparatur: Workshops als Herzensprojekt
„Ich möchte gerne Workshops zum Töpfern und Buchbinden anbieten. Nicht nur für Erwachsene, sondern auch gerne für Kindergruppen“, erzählt sie. „Mein Wissen weiterzugeben, das bereitet mir schon immer besonders große Freude.“ Und es stimmt: Ihre Augen leuchten, als sie davon spricht. „Kinder brauchen das wieder – etwas mit den Händen machen. Geduld, Kreativität, das Gefühl, etwas zum Anfassen zu erschaffen.“
Über Jahre hinweg hat sie als Lehrerin im Bereich Werken, Kunst und Technik gearbeitet. Viel davon klingt in ihrem Atelier nach: ihr Wissen über Materialien, ihre ruhige Art und die Selbstverständlichkeit, mit der sie Menschen etwas beibringt. Was aktuell fehlt? Ein schöner, heller Raum, in dem man mit Gruppen arbeiten kann. Der Keller im Atelier ist geeignet, aber nicht ideal.



Warum die Puppenklinik Tauperlitz so wertvoll für die Region ist
Im Hofer Land gibt es nicht viele Orte, an denen Tradition, Kreativität und Liebe so selbstverständlich zusammenfinden wie bei Marylin. Die Puppenklinik Tauperlitz ist mehr als ein Atelier: Sie ist ein Stück gelebtes Handwerk, das Erinnerungen bewahrt und ihnen neues Leben schenkt.
Hier werden Dinge repariert, die man nicht ersetzten kann, weil sie Bedeutungen tragen. Und gleichzeitig entsteht ein Ort, an dem Marylin Wissen weitergibt – sei es aus der Puppenwerkstatt oder aus ihrem reichen Erfahrungsschatz als Lehrerin und Handwerkerin.
Am Ende unseres Gesprächs habe ich das Gefühl, dass in diesem kleinen Atelier nicht nur Puppen und Stofftiere wieder gesund werden, sondern manchmal auch ein bisschen die Menschen, die sie bringen.







