Einst waren sie stolze Symbole ritterlicher Macht und schützten die Bevölkerung vor Feinden. Heute werden sie nicht von gegnerischen Truppen, sondern von Touristen belagert. Die Rede ist von Burgen. Noch heute finden sich über 50 Burgen, Schlösser und Rittersitze im Hofer Land. Patrick Leitl hat sich auf eine Reise in die Vergangenheit begeben und drei davon näher unter die Lupe genommen. Mit dabei ist Kreisheimatpfleger und Waldsteinexperte Adrian Roßner.
Von stolzen Rittern und verhängnisvollen Vorurteilen: Die Waldsteinburgen
Der Große Waldstein mit seinen 877 Metern Höhe ist wohl einer der schönsten Berge des Fichtelgebirges. Die von dichtem Wald umgebenen, charakteristischen und von der Witterung in Jahrtausenden zerklüfteten Felsenzüge, sind heute nicht nur Naturwaldreservat, sie beherbergten einst auch zwei Burgen. Hier treffe ich mich mit Adrian Roßner. Der Historiker ist Kreisheimatpfleger, Zeller aus Überzeugung und der Waldstein ist seine Leidenschaft. Bei den Waldstein-Festspielen stand er schon auf der Bühne, er führt Besuchergruppen durch die noch vorhandenen Burgruinen und sein Erstlingswerk, einen historischen Kriminalroman, hat der Tausendsassa ebenfalls seinem Hausberg gewidmet.
„Wenn die Sonnenstrahlen durch die Bäume auf die Burg fallen, des ist einfach schee“, kommt Roßner in breitem Zellerisch gleich ins Schwärmen. Die Geschichte der Waldsteinburgen ist für ihn vor allem eines: Die Geschichte von verhängnisvollen Missverständnissen, die bis heute nachwirken.
Mitte des 12. Jahrhunderts war das heutige Hofer Land Niemandsland, ein damals in vielen Teilen dünn, bis gar nicht besiedelter Landstrich. Zu dieser Zeit tauchte Getto, der Gefolgsmann eines mächtigen oberpfälzischen Grafen in der Region auf, vermutlich um hier Burgendienst zu leisten und so die Macht seines Herren auszuweiten. Auf dem Waldstein, am nördlichen Fuß des heutigen „Schüsselfelsen“, errichtete er wahrscheinlich die Ostburg und legte damit als Getto von Waldstein einen wichtigen Grundstein für die Besiedlung des südlichen Teils des Hofer Landkreises. Seine Nachkommen, die Herren von Sparneck, erbauten Burgen, unter anderem in Sparneck, ihrem Familiensitz, in Weißdorf und Gattendorf. Münchberg verdankte ihnen sein Stadtrecht und den damit verbundenen wirtschaftlichen Aufstieg.
Auch die Westburg, durch deren Ruinen mich Adrian Roßner führt, wurde von ihnen erbaut und diente als Grenzbefestigung in erster Linie militärischen Zwecken. Denn der Waldstein war Grenze zu einem mächtigen Nachbarn, die Stadt Nürnberg und den dort ansässigen Burggrafen. Die finanzstarken und expansionsfreudigen Mittelfranken kauften reihenweise oberfränkische Besitzungen der zunehmend verarmten Ritterschaft auf und verleibten sich unter anderem Schauenstein, Rehau, Weißenstadt und Epprechtstein ein. Bald war Sparneck eine kleine Enklave inmitten von Nürnberger Land – sehr zum Missfallen der Burggrafen, ist sich Roßner sicher.
1523 zog sich für das gallische Dorf die Schlinge endgültig zu. Die Sparnecker unterstützten den berüchtigten Raubritter Hans Thomas von Absberg und lieferten den Nürnbergern den willkommenen Vorwand. Die Sparnecker wurden selbst zu Raubrittern erklärt, auch wenn sie das eigentlich nie waren. Mit nicht weniger als 12.000 Mann marschierte eine Armee im Auftrag der Nürnberger Richtung Fichtelgebirge, um kurzen Prozess zu machen und alle „Raubritternester“ zu schleifen. Die Waldsteinburg wurde in Brand gesetzt, übrig blieb eine Ruine, die allmählich in Vergessenheit geriet. Das Mittelalter, die Zeit der Ritter und Burgen war damit Geschichte.
Rund 270 Jahre lang moderte sie nahezu unbemerkt vor sich hin, bis 1795 der Rektor des Hofer Gymnasiums, Johann Theodor Benjamin Helfrecht, ein Buch über die Ruinen und Burgen des Fichtelgebirges veröffentlichte. Im Fokus waren die Waldsteinburgen. Weil Helfrecht die Reste von roten Dachziegeln vorfand und irrtümlicherweise der Originalburg zuordnete, machte er aus der Ruine kurzerhand das „Rote Schloss“. Seiner Meinung nach eine Sehenswürdigkeit, die man gesehen haben muss. „Der Platz gibt eine ungemein große und weite Aussicht, welche die Bemühung belohnt, den fast eine halbe Meile hohen Berg zu besteigen“, lässt der Autor seine Leser wissen. Damit legte er den Grundstein für das, was man heute einen touristischen Hotspot nennt.
Es begann die Zeit der Romantik. Man sehnte sich nach dem Mittelalter, das romantisch verklärt und idealisiert wurde. Das Rote Schloss, das keines war, der vermeintlichen Sparnecker Raubritter avancierte zum beliebten Ausflugsziel im Hofer Land. Um dem Touristenansturm gerecht zu werden, wurde die Ruine teilweise baulich verändert sowie eigens Pavillons und Sitzgruppen errichtet. 1853 folgte mit dem „Hospiz Waldstein“ am Fuße des Roten Schlosses eine erste Einkehr, die eindrucksvolle Felsenkulisse lieferte schon damals die Kulisse für Konzert- und Theatervorstellungen.
Selbst im weit entfernten München vernahm man die Kunde von der Schönheit des Waldsteins, weshalb König Maximilian II. Joseph von Bayern seinen Besuch ankündigte. Das sorgte für große Aufregung in der Region. Um dem König einen würdigen Empfang zu bereiten, wurde eigens für den Regenten ein Aussichtsturm auf dem Schüsselfelsen gebaut. Zwar sollte der König seinen Turm nie zu Gesicht bekommen, er musste den Besuch kurzfristig absagen, die Nachwelt profitiert aber noch heute von der royalen Ankunft, die nie stattfand. Der Aussichtsturm steht heute noch, etwa einen halben Kilometer östlich des Roten Schlosses gelangt man durch die Ruine einer Burgkapelle der Ostburg auf den Schüsselfelsen.
Wer die Stufen erklommen hat, weiß, warum bereits vor 150 Jahren der Waldstein ein Besuchermagnet war. Bei schönem Wetter kann man vom Weißenstädter See im Süden über den Epprechtstein im Osten bis nach Hof im Norden das Fichtelgebirge und das Hofer Land überblicken. Eine Aussicht, die jede Mühe wert ist – für die man sich darüber hinaus anschließend selbst belohnen kann – mit einer Einkehr in den idyllischen Biergarten des Waldsteinhauses.
Steiler Aufstieg, schöne Aussicht, gutes Essen: Der Schüsselfelsen auf dem Waldstein, Aussicht vom Schüsselfelsen ins Hofer Land und der Biergarten des Waldsteinhauses
Kleine Stadt ganz groß: Schlossburg Schauenstein
Schon von weitem ist sie zu erkennen: Auf über 600 Meter Höhe thront Schloss Schauenstein majestätisch auf einem ins Tal der Selbitz steil abfallenden Bergrücken am Ostrand des Naturparks Frankenwald. Einst hatten hier Ritter und adlige Verwaltungsbeamte das Sagen, heute gehört die Burg der Stadt und Walter Köppel ist gewissermaßen ihr Schlossherr. Der zweite Bürgermeister der Stadt leitet ehrenamtlich das im Schloss untergebrachte Heimatmuseum und erforscht bereits seit Längerem die Geschichte der Burg. „Das Schloss gehört allen Schauensteinern“, sagt Köppel als er mir die Tür aufsperrt und mich hineinbittet.
Dem war natürlich nicht immer so. Wie die Waldsteinburgen geht auch das Schloss Schauenstein auf einen adligen Gefolgsmann zurück. Erstmals urkundlich erwähnt um 1230, wurde sie vermutlich von Otto von Schawinstein erbaut. Ende des 14. Jahrhunderts erwarben die Nürnberger Burggrafen Stadt und Schloss und machten aus Schauenstein einen bedeutenden Verwaltungssitz. So blieb es auch in der späteren Markgrafschaft Bayreuth-Kulmbach. Als eine von lediglich 17 Städten in der Markgrafschaft residierte hier das Oberamt, zu dem auch Helmbrechts zählte. Ein Umstand, an denen die Schauensteiner ihre Nachbargemeinde auch heute bisweilen noch gerne erinnern. In der Verantwortung der Verwaltung lagen unter anderem die öffentliche Sicherheit, Bauwesen und Gewerbeaufsicht. 1430 bot die Burg den Bürgern Schutz vor den Hussiten, im Dreißigjährigen Krieg vor den Truppen Wallensteins.
Ende des 17. Jahrhundert wurde das Schloss an Privatleute verkauft. Was nun folgt, ist eine wechselvolle Geschichte zahlreicher Besitzerwechsel bis ins 20. Jahrhundert. Im Jahr 1910 wird aus dem Schloss sogar eine Schuhfabrik und aus dem Schlosssaal eine Produktionsstätte. Die spätbarocke prunkvolle Innenausstattung musste Maschinen weichen. Keine 20 Jahre danach musste die Produktion eingestellt werden. Kurze Zeit darauf ging die Schlossburg in den Besitz der Stadt über. Später bietet es einem Kindergarten Platz, wird nach dem Zweiten Weltkrieg Bleibe für 25 Flüchtlinge aus Schlesien, dann kurzzeitig eine Mädchenschule. 2012 bis 2015 wurde das Schloss für rund drei Millionen Euro aufwendig und mit Liebe zum Detail saniert. Im August vor drei Jahren wurde es wieder der Öffentlichkeit übergeben, was seitdem alljährlich mit einem großen mittelalterlichen Schlossfest und Tausenden Besuchern gefeiert wird.
Heute beherbergt das Schloss eine Gaststätte, Räumlichkeiten der Arbeiterwohlfahrt, das romantische Trauzimmer der Gemeinde, das Oberfränkische Feuerwehrmuseum und das Schauensteiner Heimatmuseum, den Schlosssaal, den man für Veranstaltungen mieten kann und mehrere Wohnungen, darunter auch Sozialwohnungen. Mich beeindruckt das, denn jetzt weiß ich, was Köppel gemeint hat: Das Schloss gehört wirklich allen, denn der einstige Rittersitz ist heute ein wichtiges städtisches Multifunktionsgebäude – und ein äußert sehenswertes noch dazu.
Vor allem die beiden Museen sind einen Besuch wert. Das Oberfränkische Feuerwehrmuseum gibt es seit 1988. Es zeigt auf 600 Quadratmeter Ausstellungsfläche die geschichtliche Entwicklung der Feuerwehr im Landkreis Hof. Besonders eindrucksvoll ist die Vielzahl an sorgfältig ausgewählten Exponaten von 1855 bis in die heutige Zeit. Für die Betreuung ist der Verein „Oberfränkisches Feuerwehrmuseum e.V.“ verantwortlich, in dem viele ehemalige Feuerwehrler mit viel Herzblut engagiert sind. Vor allem die große Ausstellung von Fahrzeugen lässt die Augen von Feuerwehrfans leuchten.
Einblicke in das Oberfränkische Feuerwehrmuseum im Schloss Schauenstein
Die in den Räumen des Schlosses Schauenstein seit 1988 präsentierte Sammlung dokumentiert Aspekte der Geschichte des Feuerlöschwesens in Oberfranken im 19. und 20. Jahrhundert mit Schwerpunkt auf den Landkreis Hof. Sie setzt sich vor allem aus historischen Geräten zur Feuerbekämpfung zusammen und zeigt zum Beispiel Löschfahrzeuge, verschiedene Spritzen, Gespannzüge, Kleingeräte wie Atem- und Gasmasken, Uniformen und Abzeichen.
Ebenfalls ehrenamtlich geführt wird das städtische Heimatmuseum. Walter Köppel gibt mir eine Privatführung durch die Räumlichkeiten, in denen die typischen Handwerksbetriebe der Region anschaulich dargestellt werden. Man kann einen Einblick in die damaligen Arbeitsbedingungen von Bäckerei, Schusterei, Hausweberei, Zimmerei, Schneiderei und Friseurstube gewinnen. Darüber hinaus kann man in die Wohnsituation des späten 19. und frühen 20. Jahrundert eintauchen.
My Hof is my Castle: Das Labyrinth
Der Theresienstein ist einer meiner Lieblingsplätze. Nirgends sonst kann man nach der Arbeit oder am Wochenende so gut zur Ruhe kommen wie auf den weitläufigen Wegen zwischen Fröhlichenstein, Lettenbachsee und Labyrinth. Das sah man vor 200 Jahren genauso. Bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts legte sich das städtische Bürgertum unter der Regie des Verschönerungsverein mit dem späteren Theresienstein einen der ersten Bürgerparks Deutschlands an. Den Ursprung hatte der Park am sogenannten Labyrinthberg. Benannt nach einem Irrgarten, der hier schon im 17. Jahrhundert angelegt worden sein soll.
In Ermangelung eigener Burganlagen, das Hofer Schloss war 1743 abgebrannt, sollten sich die Hofer indes als ziemlich erfinderisch herausstellen. Sie bauten auf dem Labyrinthberg einfach eine Burg nach. Ideen- und Taktgeber war der damalige Stadtbaurat Johann Gottlob Thomas, der praktischerweise in Personalunion auch dem Verschönerungsverein vorstand. Das Projekt wurde innerhalb eines Jahres geplant, finanziert und umgesetzt. Im Frühjahr 1877 waren die ersten Bauskizzen entstanden, am 26. Mai genehmigte der Stadtrat den Bau, zwei Monate später war die Grundsteinlegung und schon Ende des Jahres stand der 16 Meter hohe Turm mit seinen 70 Stufen sowie der nordöstliche Teil der künstlichen Ruine. In dieser kurzen Zeitspanne wurden für die Realisierung des Projektes fast 5.000 Mark, vor allem durch Spenden, eingenommen. Eine für heutige Maßstäbe sehr hohe Summe. Zum Vergleich: Ein Arbeiter erhielt zu dieser Zeit einen durchschnittlichen Jahreslohn von nicht einmal 750 Mark. Fertiggestellt wurde die Ruine in seiner bis heute noch existierenden Form schließlich 1893. Ganz unkritisch wurde das Prestigeprojekt des einflussreichen Baurats zu seiner Zeit nicht gesehen. Nicht wenige fragten sich, wozu es eigentlich eine so teure Burgruine überhaupt braucht. Die Kritik verstummte allerdings schnell. Kaum war die Ruine fertiggestellt, entwickelte sie sich zu einem beliebten Ausflugsziel der wohlhabenden Hofer Bürgerschaft, zeitweise wurde sie sogar wirtschaftlich betrieben.
Heute ist „das Labyrinth“ aus dem Hofer Stadtbild nicht mehr wegzudenken. Das Labyrinth gehört zur Saalestadt wie der Wärschtlamo. Fast vergisst man dabei, dass es diese Burg in Wirklichkeit so niemals gegeben hat und einzig allein nur als Ausflugsziel gebaut wurde. Eines das sich auch heute noch lohnt.
Das Fazit: Hofer Land ist Burgenland
Burgen waren eindrucksvolle Bollwerke ritterlicher Macht. Mit dem Ende des Mittelalters verloren sie jedoch an Bedeutung und viele von ihnen verschwanden wieder. Besonders der Osten Oberfrankens war geprägt von vielen kleinen eigenständigen, von Reichsrittern verwalteten, Territorien. Laut Adrian Roßner müsste es etwa rund 300 aufgelassene Burgställe im Landkreis geben, an die heute kaum noch etwas erinnert – wenn man es nicht weiß. Oder wer vermutet beispielsweise schon, dass inmitten des Weihers des Rehauer Ortsteil Woja einst eine Turmhügelburg stand?
Und dennoch findet man heute noch weit über 50 ehemalige Burgen, Schlösser und Rittergüter in Stadt- und Landkreis Hof vor. Vielmehr als mir zu Beginn meiner Reise in die Vergangenheit bewusst gewesen war. Manche sind in Privatbesitz und bewohnt, andere sind heute gar nicht mehr als das zu erkennen, was sie einst waren und wiederum andere stehen als beliebte Ausflugsziele einer breiten Öffentlichkeit zur Verfügung. „Das Hofer Land ist Burgenland“ meint Adrian Roßner. Ich finde: Dieses Burgenland ist eine Reise wert. So wie die Waldsteinburg, das Schauensteiner Schloss oder Hofs „Fakeburg“ auf dem Labyrinthberg.