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Der Wärschtlamo im Hofer Land

„Haas sennsa, kolt wernsa!“ Wenn der traditionelle Ruf des Hofer Wärschtlamo durch die Straßen hallt, läuft nicht nur den Hoferinnen und Hofern selbst das Wasser im Mund zusammen. Seit Jahrhunderten gehören die mobilen Wurstwarenverkäufer, so der offizielle Name, fest zur Stadt und ihrer Identität. Dr. Adrian Roßner wirft einen Blick in die spannende Geschichte der Hofer Originale.

 

Durch die Industrialisierung zum ersten Hofer Wärschtlamo

Die Geschichte der Wärschtlamänner beginnt im 19. Jahrhundert, als aus Hof das „Bayerische Manchester“ wurde und rauchende Schlote das Bild der Stadt prägten. Vor allem ab 1848, im Jahr der Fertigstellung der Ludwig-Süd-Nord-Bahn, hatte sich aus dem stark vertretenen Handwerk im Hofer Land stückweise eine industrielle Struktur entwickelt. Dabei gab es nicht, wie oftmals angenommen, eine „Revolution“ im Sinne eines Umsturzes des Altbekannten, sondern eher langsam laufende Prozesse, die von den Menschen vor Ort getragen wurden. Mithilfe der Eisenbahn konnte zudem erst aus Sachsen, später auch aus Böhmen Kohle importiert werden, die den Einsatz von Dampfmaschinen ermöglichte. Sie waren es, die ab den 1850er-Jahren den Takt des Arbeitens und damit auch des Lebens vorgaben.

Die Städte als neue Zentren der Industrie

Allen voran in den Städten an der Eisenbahnstrecke schossen in Folge die ersten mechanischen Fabriken aus dem Boden, wobei sich in Bayreuth, Hof und Kulmbach gar Aktiengesellschaften zusammenschlossen, die mit gemeinsamem Kapital Spinnereien gründen konnten. In Hof entwickelte sich eine eigene „Fabrikzeile“, in der sich die gigantischen Betriebe ansiedelten. Wenngleich heute leider nur noch einige traurige Reste von ihnen übriggeblieben sind, standen sie vor 150 Jahren im Zentrum tiefgreifender Wandlungen: Fortan zog es die Menschen, die bis dahin meist ihr Handwerk zuhause ausgeübt hatten, zur Arbeit in die Stadt, was mit deren immensem Wachstum einherging. Die Einwohnerzahlen Hofs stiegen so innerhalb nur zweier Generationen von 10.000 auf über 40.000 Personen an, was erklärt, warum sich zwischen der Kernstadt und dem 1880 fertiggestellten neuen Bahnhof ein wahres Arbeiterviertel etablieren konnte.

Mehr zur Industrialisierung im Hofer Land erfahren Sie hier: Adrian Roßner entdeckt die Kultur des Hofer Landes)

Für die Menschen stellten die Fabriken in erster Linie eine große Erleichterung dar – „Maschinenstürme“ und Konkurrenzkämpfe zwischen Handwerk und Technik, wie sie in anderen Regionen wie Schlesien überliefert sind, gab es in unserer Region nicht. Ganz im Gegenteil versuchte man, vor allem die jungen Leute zum Arbeiten in den modernen Betrieben zu bewegen, während die älteren, die einen derart großen Wandel in ihrem Leben nicht mehr mittragen konnten, in den traditionellen Berufen beließ.

Die Arbeit in den Fabriken

Dadurch aber veränderte sich auch das Arbeiten selbst: Während ein Handweber im Durchschnitt sechs Tage in der Woche für jeweils zwölf bis fünfzehn Stunden arbeitete, erwirtschaftete ein Fabrikarbeiter den gleichen Lohn an fünf Arbeitstagen zu je zehn, später acht Stunden. Und das bei geregelten Arbeitszeiten mit betriebseigenen Krankenkassen und einer neu entstandenen „Werksgemeinschaft“, die durch Vereine und Clubs gestärkt wurde.

Für viele waren diese Strukturen mit einer großen Umstellung verbunden: Im Dorf war man es gewohnt, zwischendurch immer einmal kurz „zer waafn“ oder eine kleine Pause einzulegen, in der Fabrik war das allerdings nicht möglich. Hier regelte daher fortan die Dampfpfeife den Arbeitsalltag und bot den Menschen so einen geordneten Tagesablauf. Spannend ist, dass gerade in der Textilindustrie auch recht lange Pausen vorgesehen waren: Die Mittagsruhe war in den meisten Fällen mindestens eine Stunde lang und wollte entsprechend genutzt werden.

Wenn Sie wissen möchten, wo die hohe Kunst des Waafns ihren Ursprung hat, schauen Sie gerne einmal in diesem Artikel vorbei: Die oldn Waafn – vom Handwerk zur Industrie)

Der erste Hofer Wärschtlamo

Kohle in Eimer
Damals wie heute werden die mobilen Wärschtlakessel mit Kohle beheizt (Foto: Christian Hempfling Media)

Wenngleich es in einigen Betrieben (in der Hofer Baumwollspinnerei sogar schon ab 1855) eigene Kantinen gab, oblag die Versorgung im 19. Jahrhundert meist noch den Arbeitnehmern selbst, was schnell zur Entwicklung entsprechender Angebote führte. Immerhin wollte man nicht erst von der Arbeitsstätte in eine Wirtschaft laufen müssen oder dort lange auf die Brotzeit warten, wodurch die Idee aufkam, das Essen zu den Menschen zu bringen. 1871 wurde schließlich mit Johann Albrecht Sandner der erste Fleischwarenverkäufer in den Gewerberegistern Hofs geführt, der die Erlaubnis bekommen hatte, seine Würste in einer mobilen Vorrichtung zu sieden und anschließend auch ohne Ladengeschäft an die Arbeiter zu verkaufen. Damit gilt er als erster Hofer Wärschtlamo. Es darf dabei stark davon ausgegangen werden, dass auch er damals schon jene Insignien der Wärschtla-Macht bei sich trug, die bis heute symbolisch für die Traditionsfigur stehen: Den kohlebefeuerten Messingkessel nebst „Sempftaamala“ und den Korb mit den „Laabla“.

Interessant ist, dass es parallel dazu auch neue Ideen in den stationären Wirtshäusern gab: Sie führten in vielen Fällen sogenannte „Gassenschänken“ ein, um das Bier aus einem kleinen Fenster heraus direkt und damit schneller an die Kunden verkaufen zu können.

Wärschtlamänner und -frauen!

Mobiler Wurstverkäufer Wärschtlamo
Wärschtlamo Hans Schödel am Oberen Tor in Hof (Fotosammlung Horst und Lilo Schröder, Archiv Adrian Roßner)

Diese beiden Entwicklungen stehen damit in engem Zusammenhang mit der Industrialisierung in Hof, die im Laufe des 19. Jahrhunderts immer mehr an Fahrt aufnahm. Dr. Arnd Kluge, der sich als erster wissenschaftlich mit der Geschichte der Hofer Wärschtlamänner beschäftigt hat, konnte so zwischen 1871 und 1945 insgesamt 157 Personen nachweisen, die mit dem mobilen Verkauf von Wurstwaren ihr Geld verdienten. Darunter waren – trotz des heutigen, maskulinen Namens – auch 18 Frauen!

Wärschtlafraa
Mochte zwar nicht gerne als Wärschtlafraa bezeichnet werden, half ihrem Sohn – dem Wärschtlamo Ralf Herrmann – zu Lebzeiten allerdings regelmäßig aus: Ursula Dress. (Foto: Christian Hempfling Media)

Als Hintergrund für diese immens hohe Zahl an Wärschtlamännern (und Wärschtlafrauen) sieht Kluge die Einfachheit des Gewerbes: Es brauchte in den meisten Fällen keine großen Investitionen, um damit beginnen zu können und die Umsätze waren allem Anschein nach nicht schlecht. Zudem war man sein eigener Boss und konnte sich die Arbeit recht frei einteilen. Einfach allerdings war sie auch damals meist nicht: Bei Wind und Wetter mit den nicht gerade leichten Utensilien durch die Stadt zu ziehen, war anstrengend. Vermutlich ist auch das einer der Gründe, weshalb viele Wärschtlamänner nicht allzu lange in ihrem Beruf tätig waren, ehe sie sich anderweitig nach einer Anstellung umsahen.

Wärschtlamo
Wärschtlamo Helmut Junghans (Fotosammlung Horst und Lilo Schröder, Archiv Adrian Roßner)

Die goldene Wärschtlamo – Epoche

Die „goldene Epoche“ der Wärschtlamänner fand in den 1930er-Jahren ein jähes Ende. Unter der nationalsozialistischen Regierung wurde hart gegen Gewerbe vorgegangen, die nicht unbedingt den stupiden Regularien entsprachen. Der Verkauf heißer Wurstwaren auf der Straße gehörte dazu, was beinahe zum Aussterben der Tradition geführt hätte.

Wärschtlamo mit Kessel und Strohhut
Für viele der „Ur-Wärschtlamo“: Helmut Junghans mit obligatorischem Strohhut und Jackett (Fotosammlung Horst und Lilo Schröder, Archiv Adrian Roßner)

Glücklicherweise aber kam es anders und schon zur Mitte des 20. Jahrhunderts hin wurden die Wärschtlamänner zum ersten Mal in den Fokus des Stadtmarketings gerückt. Als man 1953 über die Neugestaltung des Hofer Sonnenplatzes diskutierte, kam die Idee auf, ihn mit einem Brunnen zu schmücken, den ein Wärschtlamo krönen sollte. Die 1955 aufgestellte Figur nach einem Entwurf Alfred Pflügners gilt seither als Urtyp und Idealbild des Wärschtlamos. Ein dicklicher Geselle mit „Jubbm“ und „Patschkabbm“, der hinter seinem Kessel freundlich die Passanten angrinst.

In Wahrheit gab es nie eine einheitliche „Berufskleidung“ der Verkäufer. Ganz im Gegenteil zeigen Fotos aus den 1970er-Jahren einige der bis heute berühmtesten Wärschtlamänner in Jackett und eher „gehobener“ Kleidung. Erhalten hat sich indes die klare lokale Abgrenzung der jeweiligen Reviere: Zogen sie einst von Fabrik zu Fabrik, haben die Wärschtlamänner zwischenzeitlich ihre festen Standorte, an denen sie anzutreffen sind. Gerade bei hungrigen Besuchern oder Einheimischen kommt das gut an, da man weiß, wo die Wienerla, Bauern oder Knacker auf einen warten!

Wienerla und Sempft

Messingkessel mit Würsten
Bei diesem vertrauten Anblick läuft den Menschen im Hofer Land auch heute noch das Wasser im Mund zusammen. (Foto: Christian Hempfling Media)

Apropos „Wienerla“: Wenngleich im 19. Jahrhundert einige der Wärschtlamänner auch eine Konzession zum Verkauf von Bratwürsten hatten, werden sie diese vermutlich doch eher in richtigen Ladengeschäften angeboten haben. Die typische „Brotzeit“ der Industrialisierung waren indes schon immer die Wiener, die 1805 vom Metzgergesellen Johann Georg Lahner zum ersten Mal verkauft wurden. Er hatte das Wissen um ihre Herstellung in Frankfurt gelernt und das Rezept während seiner Zeit in Wien weiter verbessert, weshalb die Würste teils als „Frankfurter“, teils als „Wiener“ bezeichnet werden. So oder so: Hauptsache ist, sie schmecken und dienen dem obligatorischen „Sempft“, zu dessen Herstellung sich im heutigen Landkreis Hof später sogar einige Fabriken gründeten, als gute Grundlage. Und wenngleich man es in Hof teils gar als Todsünde erachtet, streichen die Wärschtlamänner auf besonderen Wunsch hin auch gerne einmal Ketchup auf Würste – gegen manche Entwicklungen kann man sich eben einfach nicht wehren.

Mehr zu den heutigen Wärschtlamännern finden Sie hier: 10 Fragen an Wärschtlamo Markus Traub)

Der Wärschtlamo in anderen Städten

Übrigens: Bei allem Stolz, den die Hoferinnen und Hofer zu Recht auf „ihren“ Wärschtlamo haben, ein Alleinstellungsmerkmal waren sie ursprünglich nicht. Auch in anderen Städten Deutschlands gab es mobile Wurstverkäufer. Und um 1900 zog sogar in Münchberg ein „Wärschtlamo“ durch die Bahnhofstraße. Das Besondere an den Hofer Originalen aber ist, dass sie sich bis heute erhalten haben. Dass sie jedweder Entwicklung insbesondere des 20. Jahrhunderts getrotzt haben. Und damit noch immer einen festen und äußerst gern gesehen Identitätsanker darstellen. „A boor Wärschtla kehrn halt dazu, wemmer noch Hof kummt“!

Historische Informationen zu den Hofer Wärschtlamännern wurden entnommen aus
Kluge, Arnd: „Fast Food in Hof: Die Wärschtlamänner“, in: Miscellanea Curiensia Band XIII, Hof 2021, S. 75-108.

Der Hofer Wärschtlamo

Er gehört fest zum Stadtbild und der Identität der Hofer: Der Wärschtlamo. Mit seinem traditionellen Messingkessel versorgt er große und kleine Menschen im Hofer Land bereits seit 1871 mit schmackhaften Wurstwaren. Kein Wunder also, dass er bereits von seinen Bürgern besungen, gefeiert und mit einer eigenen Jubiläumsausstellung im Museum Bayerisches Vogtland geehrt wurde.

Ein Kommentar

  • Danke lieber Adrian für diese erleuchtende Aufarbeitung des Themas.

    Seit ich hier in der Nähe wohne steuere ich an sich jedes Mal einen der Hofer Wärschtlamänner an.

    Mein Favorit: Bauernknacker. Aber Obacht, weil die spritzen beim Reinbeißen. Aber lecker!!!

    Liebe Grüße
    Thomas

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adrian_rossner

Dr. Adrian Roßner

https://adrianrossner.de