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Adrian Roßner entdeckt die Kultur des Hofer Landes: Vom Siegeszug des Dampfes – auf den Spuren der Industriekultur

Heimatforscher Adrian Roßner begibt sich wieder auf die Suche nach der Seele des Hofer Landes: Woher kommt unsere regionale Kultur? Was hat sie geprägt? In einer kleinen Serie geht der bekannte Historiker auf Stadt.Land.Hof dieser Frage nach. – Teil 4 “Vom Siegeszug des Dampfes” beleuchtet die Zeit der Mechanisierung und Industrialisierung, in der unsere Heimat zum textilen Herz Deutschlands wurde und Hof zum bayerischen Manchester. Ein Erbe, das noch heute weiterlebt. – Plus: Diesmal mit persönlichen Ausflugstipps zum Thema von Adrian Roßner.

Teil 1:  Die „kleine Kultur“ und die Kultur im Kleinen – StadtLandHof
Teil 2:  Das Mittelalter. Von Adligen, Plackern und Heckenreitern – StadtLandHof
Teil 3: „Die oldn Waafn“ – Vom Handwerk zur Industrie – StadtLandHof

Vom Siegeszug des Dampfes – auf den Spuren der Industriekultur

Ausgehend von der handwerklichen Tradition, die sich im Hofer Land in erster Linie aufgrund der klimatischen und geologischen Besonderheiten entwickelt hatte, war im 18. und frühen 19. Jahrhundert ein kleinteiliges Wirtschaftssystem entstanden, in dessen Zentrum sich die „Verleger“ positionierten. Sie waren die Verbindung zwischen der lokalen Produktion und den sich ausdehnenden Absatzmärkten. Wie dieses System entstanden war, erfahren wir im vorherigen Teil dieser kleinen Serie.

Beginn der weltweiten Industrialisierung: Auswirkungen bis ins Hofer Land

Noch im späten 18. Jahrhundert funktionierte dieses Netzwerk tadellos. Doch schon bald düstere Wolken am Horizont auf – und das buchstäblich: In England war durch die Verbesserung der Dampfmaschine durch James Watt die Mechanisierung der Produktion möglich geworden, die zuerst in der Spinnerei Fuß fasste. Schon im 18. Jahrhundert hatte der Konstrukteur James Hargreaves die „Spinning Jenny“ entwickelt, eine Spinnmaschine, die die Arbeit von gut 80 Spinnerinnen übernehmen konnte. Durch Kopplung dieser Maschine mit der Dampfkraft entstand der „Selfaktor“, ein beeindruckendes Monstrum, das die Textilwirtschaft revolutionieren und Handarbeit überflüssig machen sollte. Bald schon schwappte das billige englische „Maschinengarn“ auf den europäischen Kontinent und brachte dadurch auch die regionale Wirtschaft ins Straucheln.

Konkurrenzfähig bleiben: Mit Dampfkraft!

Wollte man weiterhin konkurrenzfähig bleiben, musste man daher auch im Hofer Land die Mechanisierung der Arbeit vorantreiben. Doch gab es dabei ein großes Problem: Die fehlende Energie. Sicher existierte mit der Saale ein recht großer Flusslauf, dessen Geschwindigkeit dazu ausreichte, Mühlen und Hammerwerke anzutreiben, zur Kraftversorgung großer Fabrikanlagen taugte sie allerdings nicht. Schnell wurde daher klar, dass der Fortbestand der Hofer Wirtschaft nur möglich sein würde, wenn auch hier die Dampfkraft eingesetzt werden könnte. Für die dafür benötigte Kohle rückten Sachsen (vor allem das Zwickauer Revier) und Böhmen in den Fokus.

Die Eisenbahn kommt: Stadt Hof Hof wird ein europäischer Verkehrsknotenpunkt

Den lokalen Akteuren kamen bei ihren Planungen politische Überlegungen zupass: Im Dezember 1835 konnte die Ludwigsbahn ihre erste Probefahrt zwischen Nürnberg und Fürth erfolgreich absolvieren, was der Eisenbahn einen immensen Schub verlieh. Schon 1837 plante die Staatsregierung in München erstmals mit dem Bau einer „Magistralstrecke“, die von Lindau aus das gesamte Königreich bis nach Hof durchqueren und dort den Anschluss an das königlich sächsische Eisenbahnnetz sicherstellen sollte, wodurch der Import von Kohle möglich geworden wäre. Die Bauarbeiten dieses Mammutprojekts, in dessen Zuge auf bayerischer Seite die berühmte „Schiefe Ebene“, auf sächsischer die „Götzschtalbrücken“ realisiert wurden, konnten 1848 abgeschlossen werden. Aus Hof, der Stadt im Herzen des Kontinents, wurde so innerhalb kurzer Zeit ein europäischer Verkehrsknotenpunkt. Diese neue Position gab der Wirtschaft einen immensen Schub, und schon ein Jahr nach der Fertigstellung der Strecke nahm in Hof die erste Dampfmaschine ihren Betrieb auf. Damit begann die „Goldene Ära“.

Boom der Goldenen Ära: Oberfranken wird das textile Herz Deutschlands

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts schossen entlang der Magistralstrecke und, nach dem Bau der Lokalbahnen, auch in der ländlichen Region die Fabriken aus dem Boden. Zu den Zentren des Wirtschaftssystems entwickelten sich die gigantischen Spinnereien in Bayreuth, Hof und Kulmbach, die aus Nordoberfranken das „textile Herz Deutschlands“ machten.

Die Stadt Hof wurde zum so genannten “bayerischen Manchester”.

Der wirtschaftliche Aufschwung hatte tiefgreifende Auswirkungen: Aus Handwebern und Handwerkern wurden die Fabrikarbeiter, die in die Städte zogen und so zu derem rasanten Wachstum führten. Hof, das sich zum „bayerischen Manchester“ entwickelte, erkannte darin eines der größten Probleme, dem man durch umfangreiche Bauprojekte Herr werden wollte: „Arbeiterwohnhäuser“, teils direkt von den Betrieben errichtet, sollten einen Ausweg liefern. Hinzu kamen ganze „Arbeiterviertel“, die sich am Stadtrand etablierten und bis heute durch die Formensprache der Gründerzeit auffallen. Diese Bauboom wirkte sich auch auf andere Zweige aus: Die Steinverarbeitung und das Handwerk seien als Beispiele genannt.

Gesellschaftliche Entwicklung: Vereine, Verbände, Genossenschaften und Gewerkschaften entstehen

Durch die geordneten Arbeitsverhältnisse kam es auch erstmals zu Möglichkeiten der Freizeitgestaltung großer Teile der Bevölkerung. Das führte zur Gründung unzähliger Vereine, die sich mit allen möglichen Themen beschäftigten: Vom Pfeifenrauchen bis hin zum „Velociped-Fahren“, vom Turnen bis zum Fußballspielen. Hinzu kamen Gewerkschaften, um die Interessen der Arbeiterschaft besser vertreten zu können, und auch „Baugenossenschaften“, die sich um bezahlbaren Wohnraum bemühten.

Industrialisierung: Der Lebensstandard im Hofer Land steigt

Der „Goldenen Zeit“ werden in vielen Dokumentationen in erster Linie die schlechten Lebensbedingungen der Arbeiter gegenübergestellt, doch muss deutlich gemacht werden, dass es den Menschen im Hofer Land damals „gut ging“. Selbstverständlich gab es Probleme, aber die Meinung, dass eine wirtschaftliche Elite das arme „Proletariat“ sinnlos ausbeutete, wäre für unsere Heimat bei Weitem übertrieben. Ganz im Gegenteil darf von einer gegenseitigen Wertschätzung ausgegangen werden, da man wusste, dass man einander brauchte.

Die Mechanisierung hat den Lebensstandard der Menschen erhöht.

Vielerorts war daher die Mechanisierung, der Bau von Fabriken, eine willkommene Lösung, um den Lebensstandard der Menschen zu erhöhen. Die Industriellen wirkten zudem oftmals als Mäzene und Philanthropen, die darauf achteten, „ihren Arbeitern“ bei Bedarf unter die Arme zu greifen. Sie waren bei den Gründungen der Vereine aktiv oder führten (schon vor den Bismarckschen Sozialgesetzen!) Krankenkassen ein und zahlten Renten aus.

Nebenwirkungen der Hochindustrialisierung

Der Preis dieser modernen Standards war hoch: Die Saale versumpfte unter der Last der Abwässer, dreckiger Rauch und Qualm hüllten die Städte in einen giftigen Nebel; Umweltschutz war ein absolutes Fremdwort. Schon bald begannen erste Projekte, um die hygienischen Katastrophen aus der Welt schaffen zu können: Wasser wurde nicht mehr an öffentlichen Brunnen geschöpft, sondern durch Leitungen direkt in die Häuser geführt. Das Abwasser leitete man über Kanäle ab und zusätzlich hielten weitere moderne Annehmlichkeiten Einzug: In den Städten experimentierte man mit Elektrizität, um die Straßenbeleuchtung zu verbessern und in Hof fuhr ab 1901 sogar eine elektrische Straßenbahn als Symbol der neuen, der „industriellen Epoche“.

Wirtschaftskrisen: Aufstieg und Fall der Textilindustrie

Das immense Wachstum der Wirtschaft hatte das Hofer Land Anfang des 20. Jahrhunderts an die Spitze der deutschen Industrieregionen katapultiert und in eine Epoche nie gekannten Wohlstands geführt. Durch die deutliche Ausrichtung auf die Textilproduktion hatte man einerseits eine starke Leitindustrie geschaffen. Doch war diese andererseits von Importen abhängig und für Wirtschaftskrisen besonders anfällig. Das kam im Rahmen des Ersten Weltkriegs teuer zu stehen, als durch den Wegfall der Baumwollimporte das System komplett in sich zusammenbrach. Zwar konnte es sich in den 1920er Jahren langsam erholen, doch schaffte erst das „Wirtschaftswunder“ der 1950er Jahre noch einmal eine finale, große Blüte der lokalen Textilindustrie.

Noch heute zeugen „Brachen“ von der Goldenen Ära der Hochindustrialisierung, die Wirtschaft, Gesellschaft und Lebenswelten so nachhaltig prägte wie keine andere Epoche. Die Krisen der 1970er und 1980er Jahre lasten schwer auf dem Gedächtnis einer Region, deren elementarste historische Entwicklungslinie nach Jahrhunderten abrupt unterbrochen wurde.

Strukturwandel: In die Zukunft mit Vielfalt und textilem Know-How

Und doch zeigt sich genau in dieser Situation einmal mehr die Wandelbarkeit und Anpassungsfähigkeit der Struktur: Heute ist das Hofer Land noch immer stark im textilen Sektor unterwegs, hat sich aber auch für andere, neue Produktionszweige geöffnet und ist ein beliebter Ort für Start-Up-Gründungen.

Weiterlesen zur heutigen Textilindustrie auf Spitzenniveau:

Auch dabei sind es weniger die externen Investoren, sondern vielmehr lokale Akteure, die die Entwicklung vorantreiben und so auch die Tradition des „Machertums“ auf eine neue Ebene heben! Diese Eigenschaft zusammen mit der bedeutenden Industriekultur stellen einen elementaren Faktor der „lokalen Identität“ dar, die nicht etwa auf „den Großen“ der Geschichte aufbaut, sondern auf jenen fußt, die oftmals durch das Raster fallen: Die angeblich kleinen Leute sind es, die Gesellschaft und Kultur des Hofer Landes prägen.

Ausflugsziele – persönliche Ausflugstipps zum Thema von Adrian Roßner: 

Damit endet unsere kleine Serie zum Ursprung der Kultur des Hofer Landes. Doch Adrian Roßner kommt bald mit spannenden neuen Themen zu Kultur, Brauchtum und Geschichte des Hofer Landes wieder.

Die ersten drei Teile der Serie nochmal zum Nachlesen:

Adrian Roßner

Adrian Roßner aus Zell im Fichtelgebirge ist “Bestellter Kreisarchivpfleger” des Landkreises Hof. Doch das ist nur eine seiner vielen Funktionen und Ehrenämter. Bekannt ist er auch durch das TV-Format “Adrians G’schichtla” im Bayerischen Rundfunk. Bei Stadt.Land.Hof ist er immer wieder zu Themen der Heimatgeschichte und des Brauchtums aktiv.

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Adrian Roßner

Adrian Roßner ist “Bestellter Kreisarchivpfleger” des Landkreises Hof. Doch das ist nur eine seiner vielen Funktionen und Ehrenämter. Bekannt ist er auch durch das TV-Format “Adrians G’schichtla” im Bayerischen Rundfunk. Bei Stadt.Land.Hof schreibt er immer wieder über Themen der Heimatgeschichte und des Brauchtums.