Helmbrechts feiert 2022 die 600. Wiederkehr der Stadtrechtsverleihung. Gemeinsam mit Landeshistoriker Dr. Adrian Roßner werfen wir einen Blick auf die spannende Vergangenheit einer der Perlen des Frankenwalds.
Wer den Frankenwald zum ersten Mal bereist, lernt eine Region kennen, die unzählige Gesichter hat. Mystisch und geheimnisvoll erscheint sie, wenn die Nebelschwaden durch die tiefen Schluchten ziehen. Abenteuer bietet sie all jenen, die sie zu Fuß oder mit dem Rad durchqueren, und darüber hinaus glänzt sie mit einer einmalig schönen, reichhaltigen Natur! Wenn man während der Reisen mit offenen Augen durch die Landschaft zieht, kann man zudem an vielen Orten noch heute Spuren einer bewegten Geschichte erkennen, die aus einer einst sehr dünn besiedelten Region eines der industriellen Zentren Europas werden ließ. An der Spitze dieser Entwicklung standen Städte wie Helmbrechts, die bis heute dazu einladen, sich auf eine spannende Spurensuche nach der Identität des Frankenwalds zu machen.
(Entdecken Sie Helmbrechts auf dem Stadt.Land.Hof-Blog.)
(Der Fränkische Jakobsweg führt durch die Landschaft zwischen den Städten Hof und Helmbrechts. In diesem Bericht nimmt Bloggerin Michaela Spindler uns mit auf die Wanderung.)
Kalter Start: Besiedelung von Oberfrankens Nordosten
„Es is‘ halt ei’foch kolt.“ So fassen Franken im ihnen eigentümlichen Pragmatismus einen Zustand zusammen, der sich elementar auf die historische Entwicklung der Heimat auswirkte. Denn während es in wärmeren, tiefer gelegenen Gefilden wie dem Bamberger Raum schon im 8. Jahrhundert nach Christus ausufernde Siedlungsbewegungen unter anderem von den Slawen gab, zogen diese aus dem osteuropäischen Raum stammenden Menschengruppen zwar auch durch unsere Region, verließen sie aber recht schnell wieder. Warum? „Es wor halt ei’foch kolt!“
In einer Zeit, in der man sich direkt von den Erträgen der selbst betriebenen Landwirtschaft ernährte, war das Klima der eine ausschlaggebende Faktor, der über Wohl und Wehe entschied. Wenngleich es demnach mit einem bei Helmbrechts gefundenen Lappenbeil aus der Bronzezeit und anderen archäologischen Funden Beweise dafür gibt, dass schon in grauer Vorzeit Menschen durch unsere Heimat zogen, kann eine durchgehende und lang anhaltende Besiedlung vor dem 11. Jahrhundert nur in Ausnahmefällen angenommen werden.
Von Helmbrecht zu Helmbrechts
Dennoch war der Nordosten des heutigen Oberfrankens aufgrund seiner zentralen Lage als Scharnier und Brücke von einiger Bedeutung. Denn: Wenngleich nicht recht viele Personen direkt hier lebten, so durchzogen doch mehrere Handelsstraßen und Verkehrswege die Wälder. Diese verbanden beispielsweise Nürnberg mit Eger oder auch die Nord- und Ostsee mit Oberitalien.
Diese meist nicht befestigten Straßen gruben sich teils recht tief in den Boden ein und bildeten dadurch sogenannte Hohlwege aus. Daher kommt die die bis heute jedenfalls dem Namen nach bekannten „Huhlweechlauerer“ magisch anzogen. Zum 11. Jahrhundert hatte sich das Klima dann einem „Optimum“ genähert (es wurde wärmer). Daher zogen fränkische Siedler in unsere Region. Einerseits, um die bedeutenden Straßen zu schützen. Andererseits aber auch, um mittels Rodungen Leben in die beinahe menschenleere Landschaft zu bringen.
Ganz nebenbei konnten so lokale Machtbereiche geschaffen werden, die von den Nachfahren der „Landnehmer“, die sich fortan als Adlige titulierten, verwaltet wurden. Unter ihnen waren auch „die Schawensteiner“, in derem Gefolge vermutlich eben jener „Dietericus de Helmbrehtes“ stand, mit dem der Ort 1232 erstmals erwähnt wurde. Woher genau der Name des Dorfes kam, ist bis heute nicht einwandfrei belegt. Doch steht zu vermuten, dass es sich auf einen „Helmbrecht“ zurückführen lässt, der es einst gegründet haben wird.
(Lesen Sie hier mehr zur mittelalterlichen Geschichte des Hofer Landes)
Helmbrechts auf dem Weg zur Stadt
Nur gut zweihundert Jahre begünstige das Klima-Optimum die Besiedlung. Dann drängten erneut sinkende Temperaturen zu einem Wandel in der zwischenzeitlich etablierten Gesellschaft. Man wandte sich von der Landwirtschaft ab und suchte im Handwerk ein zweites Standbein. Dadurch wuchs Helmbrechts, begünstigt durch die gute Lage, in den folgenden Jahrhunderten zu einem wichtigen Handelspunkt heran. Diese Bedeutung unterstrichen die Burggrafen zu Nürnberg (die Familie von Zollern, die später zu den Markgrafen von Brandenburg aufstieg) durch die Verleihung der Stadtrechte an die Siedlung im Jahr 1422.
Neben den verarbeitenden Gewerken hatten sich die Menschen in jener Zeit auch vermehrt der Weberei zugewandt: Wolle, noch wichtiger aber Flachs als widerstandsfähige Pflanze, waren dafür die Ausgangsmaterialien. Burggraf Johann III. führte schließlich Anfang des 15. Jahrhundert mit der Baumwolle einen weiteren Rohstoff ein, der die einfache Weberei revolutionierte. Fortan übernahmen „Verleger“ den Import der teuren Baumwolle und gaben sie an die lokal ansässigen Handweber weiter. Die fertige Produkte verkauften sie schließlich auf den großen Messen unter anderem in Würzburg und Bamberg. Durch diese Verleger war es möglich geworden, die lokale Wirtschaft auf Export und Expansion umzustellen. Dadurch wurden aus Städten wie Helmbrechts schnell bedeutende Wirtschaftszentren.
(Lesen Sie hier mehr zur Entwicklung des Handwerks im Hofer Land)
Textilindustrie von Weltrang: Waaferei und Shawl-Produktion
(Tipp: Das Oberfränkische Textilmuseum in Helmbrechts ist eines von 20 Museen, die man im Hofer Land unbedingt besucht haben sollte.)
Wie elementar die Weberei für die Gesellschaft der Region war, erkennt man auch in ihrem Einfluss beispielsweise auf die Sprache: Worte wie „leiwändisch“ (abgeleitet von der im Vergleich zur Woll- und Baumwollfabrikation einfacheren „Leinwand“ aus Flachs) oder „Waafn“ (ursprünglich ein Gerät zum Abmessen der fertig versponnen Fäden, heute eher für mitteilungsbedürftige Menschen genutzt) sind bis heute rege im Gebrauch.
Während im frühen 19. Jahrhundert Städte wie Münchberg und das dortige Umland weiterhin auf die Baumwolle setzten, orientierten sich Teile der Helmbrechtser Produzenten in jenen Jahren aufgrund einer um sich greifenden Wirtschaftskrise neu und fokussierten die Verarbeitung von Schafwolle zu sogenannten „Shawls“. Diese weiterhin im Verlag vertriebenen Produkte waren mit teils aufwändigen Mustern verziert, die mithilfe moderner „Jacquard-Stühle“ entstanden. Sie wurden schon bald in immer weiter entfernte Abnehmerländer exportiert. Helmbrechts konnte sich so, neben Münchberg, das ab den 1880er Jahren auf die mechanische Buntweberei setzte, als Zentrum der Textilindustrie positionieren, das schließlich Weltrang erlangte.
Die damals entstandenen Villen der Textil-Verleger, auf deren Schultern eben diese Geltung fußte, vermitteln bis heute den Eindruck eines entsprechenden Selbstverständnisses und Stolzes. Eben den brachten die „Bürger“ der Stadt auch durch die Gründung der bis heute beliebten Ausflugs-Destination „Kirchberg“ zum Ausdruck, die noch immer den Flair eines mondän biedermeierlichen Landschaftsparks versprüht und zum Lustwandeln nach alter Tradition einlädt.
(Erfahren Sie hier mehr zum Kirchberg)
Helmbrechtser Textiler auf den Weg in die Moderne
Natürlich war den Verlegern bewusst, dass die Handweberei über kurz oder lang nicht mit einer modernen Konkurrenz im Ausland (allen voran Sachsen war hier ausschlaggebend) würde mithalten können. Doch fehlte es an einem grundlegenden Rohstoff, um auch in Helmbrechts moderne Maschinen zum Einsatz bringen zu können: der Kohle. Nachdem Münchberg 1848 Anschluss an die „Ludwig-Süd-Nord-Bahn“ erhalten hatte, über die Steinkohle aus Zwickau importiert werden konnte, begannen daher schon in den 1860er Jahren Planungen für eine Zweigstrecke von Münchberg nach Helmbrechts.
Ursprünglich sollte die „Frankenwaldbahn“ sogar bis zur Landesgrenze weitergeführt werden, doch musste man sich letzten Endes mit einer einfachen Lokalbahn zufrieden geben. Die Firma C. F. Weiß gehörte zu den ersten Kunden, die fortan über die stählernen Schwellen Kohle heranschafften, um die ab 1877 in Helmbrechts ansässige, mechanische Fabrik damit zu betreiben. 1888 folgte die Voigtländische Buntweberei Heimeran.
Damit wurde nun auch diese Stadt zu einer Industriemetropole und die „Goldene Ära“ begann. Sicher haben die Krisen auf dem textilen Sektor in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts diese Epoche rabiat beendet, doch hat Helmbrechts auch diese Krise überstanden. Wenngleich viele der großen Namen der Vergangenheit mittlerweile nurmehr in Form von Straßen oder als bloße Erinnerung existieren, gibt es heute mit Knopfs Sohn, Bleed Clothing, Frankenwald-Hausschuhe und anderen „Playern“ traditionsbewusste Unternehmen, die fit für die Zukunft sind.
Regionalgeschichte im Alltag entdecken
Diese vielfältige und spannende Entwicklung strahlt Helmbrechts bis heute aus und lädt dazu ein, sich auf eine abwechslungsreiche Reise durch die Regionalgeschichte zu begeben: Egal, ob man sich in Kleinschwarzenbach eines der letzten erhaltenen Handweberhäuser ansieht, in den mustergültig hergerichteten Fabrikantenvillen Weiß und Pitroff residiert oder sich am neuen Stadtzentrum vergnügt, das sich rund um die Webhallen der Firma C. F. Weiß etablierte: Helmbrechts zeigt, wie die Verbindung von moderner Entwicklung und Wertschätzung der Vergangenheit gelingen kann.
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